Dann muss es Liebe sein
Leukämie behandle, nicht lieber morgen einen Termin hätte geben sollen statt am Montag. Ich gehe gerne am Sonntag in die Praxis – dann kann ich in aller Ruhe meine Büroarbeit nachholen und werde dabei höchstens von Ginge und Tripod gestört, die mit Vorliebe über die Tastatur spazieren, wenn man versucht zu tippen.
Ich sehe zu Alex hinüber, der so dicht neben mir am Picknicktisch auf dem Rasen hinter dem Talymill Inn sitzt, dass sein in eine schicke graue Hose mit Bügelfalten gehülltes Bein an meinem liegt. Er lächelt. Ich lehne mich an ihn, lege den Kopf auf seine Schulter und schließe die Augen. Die Sonne wärmt mein Gesicht, ich rieche den Duft von Aftershave, zertretenem Gras und Fluss und lausche dem energischen Flügelschlagen der Tauben oben in den Bäumen, dem Plätschern, als eine Ente auf dem Wasser landet, dem Gelächter und den Stimmen, dem Gläserklirren und der erschreckend aggressiven Stimme einer Frau, die verschiedene Gruppen auffordert, sich auf dem Gras am Ufer für die Fotos aufzustellen.
Als ich mich entspanne, regt sich mein Bauch und erinnert mich daran, dass ich schon in der einunddreißigsten Woche bin. Das bedeutet, ich habe nur noch neun Wochen Zeit, vorausgesetzt, Böhnchen kommt tatsächlich in der vierzigsten Woche und nicht in der siebenunddreißigsten, vor der man mich gewarnt hat. Hilfe! Emma und ich müssen uns dringend nach einem Tierarzt umschauen, der Drew ersetzen soll, wenn er uns im Oktober verlässt, und nach einem weiteren Arzt, der mich vertritt, wenn ich in Mutterschutz gehe. Aber nicht lange – spätestens sechs Wochen nach der Geburt will ich wieder in der Praxis stehen.
Alex hat eine Nanny engagiert, die Astra ihm empfohlen hat. Sie arbeitet im Moment noch für eine Londoner Familie, doch Ende September wird die Mutter ihren Spitzenjob in der PR -Branche aufgeben, um sich hauptberuflich um die süßen Kleinen zu kümmern. In Alex’ Beschreibungen klingt das Kindermädchen – Robyn heißt es – wie eine regelrechte Mary Poppins, und ich stelle es mir als spröde junge Frau vor, die an ihrem Regenschirm in Talyton St. George einschwebt. Ich habe keine Ahnung, wie wir uns das überhaupt leisten sollen.
Die energische Fotografin ruft jetzt die Freunde zu Izzy und Chris.
»Je schneller Sie sich aufstellen, desto eher kriegen Sie den Rüssel in den Trog«, bellt sie.
Ich öffne die Augen.
»Wo haben sie die denn her?«, fragt Alex.
»Ich glaube, Izzy hat gesagt, sie wäre die Freundin einer Freundin.«
»Vermutlich wird die Fotosession bei ihr nicht allzu lange dauern. Ich sterbe vor Hunger.«
»Öfter mal was Neues. Sollen wir uns nach innen verziehen?« Ich rette eine Wespe, die zuckend auf dem Boden meines Glases liegt. Zur Feier von Izzys großem Tag habe ich mir einen winzigen Drink gegönnt, und der Alkohol ist mir sofort zu Kopf gestiegen.
»Noch nicht.« Alex rückt seine Fliege zurecht. »Hast du nicht gehört? Wir sollen fotografiert werden.«
»Nein, das geht nicht. Ich sehe absolut unmöglich aus.« Mir ist nichts anderes übrig geblieben, als mich dem Druck meiner immer weiter ausufernden Taille zu beugen und nun doch Schwangerschaftskleidung zu tragen. Heute habe ich mich für ein bescheuertes Blümchenkleid in Altrosa und – welch ein Elend! – flache Sandalen entschieden, denn auf High Heels kann man einfach nicht watscheln. »Ich komme mir vor wie ein übrig gebliebener Hippie.«
»Stimmt, Hippo trifft’s ganz gut«, antwortet Alex.
»Ich sagte Hippie.«
»Ach wirklich?«, entgegnet er spöttisch.
Lächelnd stoße ich ihn mit dem Ellbogen in die Seite. Er nimmt meine Hand, zieht mich von der Bank hoch, und wir gehen hinüber zu Braut und Bräutigam, den Brautjungfern, allen Verwandten und Freunden – und nicht zu vergessen den Hunden –, um uns fotografieren zu lassen.
Ich erkenne Izzy kaum wieder. Sie trägt ein schlichtes elfenbeinfarbenes Kleid und einen spitzenbesetzten Bolero. Sie lächelt, errötet und genießt es in vollen Zügen, endlich eine Braut zu sein – schließlich hat sie auch lange genug darauf gewartet –, während Chris etwas verlegen wirkt und sich immer wieder den Nacken kratzt wie ein Hund, der sich vergeblich bemüht, einen Floh loszuwerden. Er hat sich die blonden Locken abschneiden lassen und sieht jetzt eher aus wie ein Gentleman als wie ein Schafzüchter.
»Chris hat ganz schön die Hosen voll«, flüstert Alex.
»Er hat es sich doch hoffentlich nicht anders überlegt?«, frage ich besorgt
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