Dann press doch selber, Frau Dokta!: Aus dem Klinik-Alltag einer furchtlosen Frauenärztin (German Edition)
und von diesem Tag an geht Schwänchen bei uns ein und aus. Aus und ein. Mal ist es der Kreislauf, dann wieder ominöse Schmerzen unterschiedlichster Lokalisation – im Bauch, im Rücken oder Kopf, es brennt beim Wasserlassen, einkaufen, sitzen und fernsehen, und schwindlig ist ihr sowieso immer. Ächt jetzt.
»Schwänchen – wo genau tut es denn HEUTE weh?«
»Daaaaaaaaaaaaaa.......!«, haucht es mir matt entgegen und kreist mit schlapper Hand unbestimmt über ihre Magenregion.
»Ist dir übel?«
Kopfschütteln.
»Muss du erbrechen?«
Kopfschütteln
»Blutest du? Geht Flüssigkeit ab?«
Heftigeres Kopfschütteln.
»Dann komm mal rüber auf meine Untersuchungsliege!«
JETZT nimmt Schwänchen erstmals die schlappe andere Hand von der Stirn, reißt die babyblauen Augen auf und starrt mich empört an.
»DAS geht NICHT, ich habe ganz schlimme Schmerzen!«
Öh – okay! Ich hab gerade auch ganz schlimme Schmerzen … Also heben Ralf und der immer noch wild augenrollende Boris die Kleine auf meine Liege, wo ich anschließend direkt mit den üblichen Untersuchungen beginne:
Ultraschall vom Gebärmutterhals: Unauffällig.
Ultraschall vom Baby: Unauffällig.
Der Bauch tastet sich butterweich, keinerlei Abwehrspannung.
Die Nieren sind beidseits weder druckschmerzhaft noch gestaut. Ergo haben wir es hier mit einer völlig unauffälligen Frühschwangerschaft zu tun – oder kurz gesagt: kein gynäkologisches Korrelat für die Beschwerden meiner Patientin.
Ich bin gerade nur minimal angepisst. Verzeihung!
»Schwänchen, wann hattest du denn zum letzten Mal Stuhlgang?«
»Heute morgen – viermal Durchfall!«
MOOOOOOOMENT – hatte ich fünf Minuten zuvor nicht explizit nach Magen-Darm-Infekt und Co. gefragt? Hatte ich? JA – ich HATTE!!! Verdammt, das geht so nicht, ächt jetzt!
Das Telefon klingelt – im Kreißsaal warten eine ungeduldige Privatpatientin sowie ein schlechtes CTG auf mich. Also stelle ich die kleine Nervensäge erst einmal konsiliarisch bei den Chirurgen vor – was die können, haben wir schon lange gelernt! Und anschließend darf auch noch der Internist ran. Das nennt man dann wohl Beschäftigungstherapie.
Zwei Stunden später werde ich von Schwester Hildegard telefonisch darüber in Kenntnis gesetzt, dass Frau Schwan ihr Stammzimmer auf unserer Station bezogen und bereits begonnen hat, ihr Standardprogramm abzuspulen:
11 Uhr – Stationstelefon
»Josephine – Schwänchen hat immer noch Schmerzen!«
»Häng ihr Paracetamol an!«
11 . 04 Uhr – Stationstelefon
»Josephine – sie WILL keine Infusion. Sie hat im Internet gelesen, das sei schlecht fürs Baby.«
»Okay, dann nicht! Gib ihr Flüssigkeit und setz sie auf Tee-Zwieback-Diät.«
11 . 11 Uhr – Stationstelefon
» Jetzt ist ihr dolle schwindlig …?!«
»Blutdruck?«
»120/80«
»Temperatur?«
»Normal!«
»Labor?«
»Unauffällig …« –
»Gib ihr Flüssigkeit, ich steck gerade mit beiden Händen in einer Frau! Ich melde mich später wieder!!!«
11 . 55 Uhr – Stationstelefon
Hildegard schnauft schwer ins Telefon: »Josi, Schwänchen meldet sich mit Rückenschmerzen …?!«
»Hilde, häng ihr ein bisschen Wasser an. Ich komme, sobald ich kann!«
12 . 30 Uhr – Stationstelefon
Schwester Hildegard kurz vor der Schnappatmung.
»Die Schmerzen im Rücken waren nach der Infusion komplett weg, dafür hat sie jetzt KOPFSCHMERZEN!!!«
»Hildegard – ich steh im OP, ruf den Internisten, deinen Telefonjoker oder meinetwegen den Papst an, aber ich KANN JETZT NICHT!«
14 Uhr – Stationstelefon
Ich höre Hildegard bereits atmen, bevor ich den Hörer überhaupt abgenommen habe. Sie tut mir leid. Für jeden Anruf, den sie in den vergangenen Stunden mit mir geführt hat, musste sie zuvor jedes Mal in das Zimmer der Patientin geeiert sein, sich dort Schwänchens immer gleichen Jammer-Sermon angehört haben, war dann zurück zum Schwesternstützpunkt gelaufen, um mich auf den aktuellsten Stand zu bringen. Und ganz sicher hat auch sie jede Menge anderen Kram, den zu erledigen tausendmal wichtiger gewesen wäre, als Schwänchens hypochondrischem Grundleiden Genüge zu tun.
Mal ehrlich – wenn die Kleine echte Probleme hätte – okay. Wenn es ihr wirklich irgendwo weh täte – keine Frage. Dann hätten wir uns auch weiterhin so gemüht wie bei den ersten drei, vier Malen ihrer stationären Aufnahme. Doch mittlerweile ist auch dem letzten Harry klar, dass Schwänchen einfach
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