Dante Valentine 02 - Hoellenritt
und kein anderer Mord in der Stadt Ähnlichkeiten mit diesem aufwies. Hör mal, Danny, eins verstehe ich nicht. Der Normalo, Bryce Smith. Wie zum Teufel passt er da rein?“
Ein Rätsel zu haben, über das ich nachdenken musste, verschaffte mir eine kurze Schonfrist, die allerdings einen üblen Beigeschmack hatte. Keine Ahnung, aber das beschäftigt mich auch am meisten. „Das weiß ich noch nicht. Kannst du an seine Akte kommen? An alles, was nicht als Verschlusssache geführt wird?“
Gabe zuckte mit den Schultern, griff in den Papierstapel auf ihrem Schreibtisch und fischte eine dicke Akte heraus. „Hab ich schon. Sehen wir mal nach. Übrigens trug er auch eine dieser Halsketten mit dem Pik.“
„Er war doch Juwelier. Und sein Slicboard war auf den Namen Keller registriert“, meldete sich Jace zu Wort. „Rate mal, was laut Polyamour in der Schule Kellerman Lourdes’ Spitzname war.“
„Echt?“ Gabe schüttelte den Kopf und öffnete die Akte. „Bryce Smith. Hat ein Visum für Putchkin beantragt, als ,technischer Berater’, das heißt, er wäre in etwa zur fraglichen Zeit dort gewesen… hmmm. Er hatte einen Begleiter, aber hier steht nicht, wer das war. Scheißdiplomatensiegel.“ Sie sah mich an. „Verdammt, Danny. Gut, dass du mir hilfst.“
Das zauberte ein müdes Lächeln auf mein Gesicht. Ich beugte mich vor, um mir die Akte zu greifen. „Ich lebe, um zu dienen. Hast du eine Liste von denen, die in Saint City wohnen?“
„Ja. Sieben halten sich hier auf und sind, soweit wir wissen, noch am Leben.“
„Polyamour kannst du abhaken. Außerdem Kellerman Lourdes. Bleiben also noch fünf. Steht Hollin Sukerow auf der Liste?“
„Ja. Ist Kellerman unser Verdächtiger, Danny?“
Ich atmete tief ein. Mein Gehirn schaltete in den Arbeitsmodus um, was eine Erleichterung war. „Ich weiß es nicht.“ Ich bin hier völlig auf meinen Instinkt angewiesen, Gabe. Du erwartest immer noch ein Wunder.
Aber war Instinkt nicht genau das, worum es ging? War Magik nicht genau das?
„Warum sind die Leute in Saint City noch am Leben?“ Gabe hatte die Stirn in Falten gelegt.
„Weil sich Rigger Hall hier befindet. Hier hat alles angefangen – und hier wird alles enden.“ Die prickelnde Hitze glitt mir von der Schulter über den Rücken, ließ die Phantomnarben aufglühen und sich dann wieder beruhigen. Ich stieß einen Pfiff aus. „Na gut. Legen wir los. Was machen wir als Nächstes?“ Ich war ein wenig erstaunt, dass meine Stimme nicht zitterte. Bis auf die Heiserkeit, die zurückgeblieben war, als Luzifer mir die Luftröhre zusammengequetscht hatte, klang sie ganz normal. Die Zeit hatte die Erinnerung daran nicht verblassen lassen – und auch andere Dinge nicht. Dabei gab es so vieles, was ich gern vergessen hätte, und die Liste schien in letzter Zeit immer länger zu werden.
Glauben Sie an das Schicksal, Danny Valentine? Polyamours Stimme, tief und voller Entsetzen. Ich hatte ihr die Antwort vorenthalten, denn sie war zu… beängstigend.
Einen Moment lang erwog ich, Gabe zu sagen, dass man manches wirklich besser dem Schicksal überlässt, wie eine schreckliche Gleichung, die aufgelöst werden muss. Ich fragte mich, was sie wohl sagen würde, wenn ich ihr verriet, dass ich allmählich ein Muster erkennen konnte und dass es ein grauenhaftes Muster war, das in seiner unendlichen Schrecklichkeit zugleich völlig logisch war.
Dann tauchte aus der tiefsten Tiefe meines Gehirns ein Gedanke auf. Nachdem Polyamour die schreiende Neunjährige davongezerrt hatte, die vermutlich mehr Leid erlebt hatte, als ein Kind jemals zu ertragen haben sollte, hatten sie – wer immer „sie“ auch waren – sich von Mirovitch ernährt und ihn psychisch und vermutlich auch körperlich zerfetzt, da die körperliche Verstümmelung in jedem Fall ihr Teil zur psychischen beiträgt. Und dann, ein Jahrzehnt später, hatten sie nicht die Polizei benachrichtigt, als die Gefahr immer näher rückte. Stattdessen hatten sie sich in ihr Allerheiligstes zurückgezogen und mit geweihter Kreide Kreise gemalt. Waren es dieselben Kreise und Glyphen, die Keller abgeändert und dann benutzt hatte, um das Leben eines Ungeheuers auszulöschen, das sich unter der Maske eines Schuldirektors verborgen hatte?
Plötzlich war ich mir absolut sicher, dass irgendetwas aus diesen Kreisen auferstanden war und die Opfer in Stücke gerissen hatte. Hatte Christabel sich wohl damals gefragt, ob so etwas passieren könnte, und all jene mit einem Mal
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