Darf ich meine Oma selbst verbrennen?
Lederschuhe trägt, deren Sohlen absolut frei von Laufspuren sind.
Aber natürlich kann man sich vorstellen, dass nicht jede Familie sich diese Investitionen in an und für sich überflüssige Kleidung leisten kann. Schon deshalb hat sich rund um das Sterben in Italien ein ganzer Berufszweig entwickelt, der Anzüge aus minderwertigen Stoffen als Blender herstellt. Die Nähte würden keiner Bewegung standhalten, und diese Kleidungsstücke sind wirklich nur für die Aufbahrung im Sarg geeignet. Oft besteht der Rücken aus andersfarbigem, noch billigerem Stoff, und sowohl Kragen als auch Taschen sind nur angedeutet.
Auch die Schuhe sehen nur auf den ersten, sehr flüchtigen Blick so aus, als seien sie aus Leder. In Wirklichkeit bestehen sie aus bedruckter, geschickt geformter und verleimter Pappe. Im Sarg wirken diese Treter durchaus echt, aber laufen könnte man damit wohl kaum, denn nach den ersten paar Schritten gehen die Pappschuhe entzwei.
Betrug an den Angehörigen ist das nicht, denn die wissen ja, dass sie für einen geringen Geldbetrag nur Sachen bekommen, die einen gewissen Anschein erwecken sollen. Man macht dies, um die Tradition der neuen Kleidung zu wahren, gleichzeitig aber auch, um gehörig Geld zu sparen. Solche Anzüge kosten kaum zwanzig Euro, und so ein Paar Schuhe gibt es ab drei Euro.
Ein Betrug wurde erst daraus, als Anfang der neunziger Jahre einige clevere Geschäftsleute aus der Bestattungsbranche mit Lastwagen voller italienischer Anzüge und Schuhe in die neuen Bundesländer fuhren und auf Marktplätzen den in westlichem Kommerz unerfahrenen Ostdeutschen tonnenweise Herrenanzüge für fünfzig Mark und Schuhe für fünfundzwanzig Mark andrehten.
Dass sie da minderwertige, nur dünn vernähte Anzüge gekauft hatten und dass die Schuhe nichts taugten, haben die meisten Käufer erst gemerkt, als die windigen Abzocker längst über alle Berge waren und schon in der übernächsten Stadt ihren Schund direkt vom Lastwagen verschleuderten.
Von all diesen Begebenheiten weiß aber Frau Fiedler nichts. Sie hat ihren Mann Egon zu betrauern und steht im Ausstellungsraum eines Bestattungsinstitutes. Dort hat sie bereits eine geschmackvolle Truhe in Eiche rustikal ausgesucht und sich für ein Totenhemd in Mintgrün entschieden.
Dann wendet sie sich den Sargausstattungen zu und tippt mit etwas krummen, gichtigen Fingern auf eine Kombination aus Kopfkissen und Decke in Zartrosa: »Die da nehme ich.«
»Frau Fiedler, ich fürchte, das wird etwas bunt«, wende ich vorsichtig ein, denn das Mintgrün und das Zartrosa beißen sich heftig.
»Ja, wieso das denn? Da kommt noch ein blauer Blumenstrauß oben drauf, und das sieht dann sehr hübsch aus.«
»Gut, wenn Ihnen das so gefällt, dann machen wir das, aber eigentlich gibt es zu dem mitgrünen Talar auch eine Herrendecke in passendem Farbton. Die ist mittelgrau und hat schmale mintgrüne Mäanderstreifen am Rand.«
»Wollen Sie damit sagen, dass ich keinen Farbgeschmack habe?«
»Nein, nein, Sie haben wirklich schöne Sachen ausgesucht, nur das Zartrosa passt vielleicht nicht so ganz.«
»Das ist kein Zartrosa.«
»Nein?«
»Nein! Das ist das berühmte Rosa. Wissen Sie, mein Mann und ich sind doch so gerne ins Ausland gefahren, und ganz besonders gerne sind wir nach Luxemburg gefahren. Da waren wir siebenundzwanzig Jahre in derselben Pension. Also jetzt nicht ständig, sondern nur im Urlaub, immer so für acht Tage. Nein, warten Sie, 1997 waren wir auch mal vierzehn Tage dort.«
»Aha.«
»Und deshalb muss das Rosa sein.«
»Deshalb?«
»Ja, kennen Sie denn Rosa Luxemburg nicht? Diese weltberühmte, sprichwörtliche Farbe? Dieses Rosa will ich für meinen Egon.«
»Wenn Sie das so sagen, dann soll das so sein.«
Die Sache mit dem nächtlichen Finger
Eben ist Frau Schuck wieder nach Hause gegangen. Seit Jahren bieten wir so im Nebenbeigeschäft Solar-Grablichter an. Es ist ja auch schön, wenn abends auf den Gräbern die vielen kleinen roten Kerzen flackern.
Am meisten macht man das ja an Allerheiligen. Nun habe ich genau an diesem Tag Geburtstag, also war an meinem Geburtstag natürlich stets ein Besuch bei den Großeltern auf dem Friedhof fester Bestandteil des Tagesablaufs. Wir gingen immer gegen Abend, steckten zwei Blechlaternen an gebogenen Haltern in die Erde und stellten rote Kerzen hinein.
Schön! Die vielen Lichter, Klasse! Ich habe wenigstens die ersten sechs Jahre meines Lebens gedacht, die Leute machen das alle nur, weil
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