Dark Academy 01 - Geheimer Pakt
Satz.
Cassie hatte kaum wahrgenommen, dass sie während ihrer Überlegungen immer weiter gegangen war, ihren zerbeulten Koffer im Schlepptau. Sie wusste nicht, was sie dazu brachte, genau in diesem Moment aufzuschauen und über die Straße zu blicken. In ihrem Nebel aus desorientierter Panik musste sie auf Autopilot geschaltet haben, denn ihr Blick fiel treffsicher auf eine glänzende, in eine Steinsäule eingelassene Messingplakette:
THE DARK ACADEMY
Nichts weiter. Nicht einmal die Einladung, bitte den Klingelknopf unter dem Schild zu betätigen. Es wirkte alles sehr vornehm untertrieben. Hätte Cassie nicht schon von der anderen Straßenseite aus eine gewisse Vorstellung von dem Gebäude hinter den kunstvollen, schmiedeeisernen Toren gewinnen können - imposante steinerne Säulen und Giebel, die grünbronzene Wölbung einer halb verborgenen Statue im Innenhof -, wäre sie vielleicht enttäuscht gewesen.
Cassie schluckte und krampfte die Finger fester um den abgewetzten Griff ihres Koffers. Sie trat vom Bürgersteig herunter und der Koffer holperte auf seinen wackeligen Rädern hinter ihr her.
Ihr Koffer.
Und was war darin? Der Brief, der bescheinigte, dass sie durchaus hierhergehörte. Dass von allen unwahrscheinlichen Leuten Cassandra Bell gut genug für ein Stipendium an der Dark Academy war. Der Briefkopf war auf dickes, teures, pergamentähnliches Papier gedruckt, und das war gut so - billiges Papier wäre inzwischen zerbröselt, so oft wie sie das Blatt auseinander- und wieder zusammengefaltet hatte, um die Worte in sich aufzusaugen. Mittlerweile hatten sie sich fest in ihr Gehirn eingebrannt. Jetzt steckte das Papier sorgfältig in dem mit Leder gebundenen Notizbuch, das Patrick ihr zum Abschied geschenkt hatte und das ihn einen großen Batzen von seinem Lohn gekostet haben musste.
Also, was sollte sie tun? Ihm das Notizbuch wieder in die Hand drücken und sich bei ihm entschuldigen, weil sie versagt hatte, bevor sie die Akademie auch nur betreten hatte?
Auf keinen Fall. Dieser Brief bestätigte es. Sie war eine Schülerin der Dark Academy!
Grinsend zog Cassie mit ihrem Koffer über die Straße. Ein Fahrer bremste scharf und brüllte sie an. Fröhlich zeigte sie ihm den Mittelfinger. Sie hatte ein Recht, hier zu sein. Sie würde hierher passen. Und was noch wichtiger war, sie würde es wunderbar finden.
Atemlos ließ sie den Zeigefinger über der Türklingel schweben. Das ist es, dachte sie. Los geht's ...
Erschrocken wich sie zurück. Die Tore schwangen weit auf, lautlos und glatt. Eine Hand zur Faust geballt, biss sie sich auf die Unterlippe. Sie hatte die Glocke nicht angerührt.
»Vorsicht!«
Eine Hand auf ihrer Schulter zog sie zurück, als ein schwarzer Wagen, lang und elegant, ganz sanft über das Pflaster rollte und sich zwischen die Tore schob. Cassie gewann den Eindruck, dass nichts die geschmeidige Vorwärtsbewegung dieses Wagens aufgehalten hätte, nicht einmal ein achtloser Fußgänger.
Die Hand ließ sie abrupt los. Als sie sich lächelnd umdrehte, wich der Besitzer der Hand einen Schritt zurück. Es war ein Junge in ihrem Alter, hochgewachsen und breitschultrig, das braune Haar sehr kurz geschnitten. Er hatte das gesunde Aussehen eines Menschen, der viel Zeit im Freien verbrachte. Daher bezweifelte sie, dass er immer so blass war wie in diesem Augenblick. In seinem freundlichen Gesicht spiegelte sich Entsetzen. Er sah aus, als sei ihm gerade all sein Blut einfach in seine abgewetzten Turnschuhe gesackt.
»Danke«, sagte sie, um das betretene Schweigen zu brechen.
Er antwortete nicht. Stattdessen machte er auf dem Absatz kehrt, ging ohne ein weiteres Wort an ihr vorbei und verschwand durch die Tore der Akademie. Cassie starrte ihm nach.
Macho, unhöflich und Amerikaner.
Nicht nur sein gedehnter Akzent hatte ihn verraten, sondern die heruntergekommene Kleidung und sein übertrieben selbstbewusster, wiegender Gang. Na ja, sie war froh, dass sie nicht als Einzige nicht mit Absicht zerrissene Jeans trug. Wieder nervös, holte sie tief Luft.
Geh da rein, Cassie! Dort gehörst du hin, erinnerst du dich?
Cassie grinste. Es war, als könne sie Patricks Stimme direkt in ihrem Kopf hören. Bevor die Tore wieder zuschwingen konnten, zog sie ihren Koffer hindurch und stand in dem riesigen Vorhof.
Wow.
Das Anwesen war viel größer, als es von der Straße aus den Anschein hatte. Sonnenlicht fiel durch Kastanien auf Pflastersteine, die durch die Jahre so abgenutzt waren, dass sie einen
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