Dark Academy 01 - Geheimer Pakt
und sie saugte an dem Mädchen wie ein geistesgestörter Staubsauger.
Alice' nackte Füße zuckten. Die Adern an ihnen traten purpurn geschwollen wie dünne, dunkle Drähte hervor, als wollten sie durch ihre Haut platzen. Bei ihrer Hand, die in nutzlosem Protest neben Keiko auf das Bett schlug, war es das Gleiche. Als Keiko sich aufrichtete, um Luft zu holen, konnte Cassie Alice' Gesicht deutlich sehen. Es war ebenfalls durchzogen von pochenden Adern, die unter der papierweißen Haut auf ihre Lippen zupulsten. Auf ihren Schläfen waren die Tränen getrocknet, als hätte sie keine mehr übrig, um zu weinen.
Plötzlich riss Keiko den Kopf zur Seite, als habe sie etwas gehört. Sie sah jetzt besser aus. Weiche, hübsche Haut. Glänzendes Haar. Feuchte Lippen.
»Schon gut«, murmelte sie besänftigend und strich mit den Fingerspitzen über die Stirn ihrer Mitbewohnerin. »Ich bin geschickt, Alice, ich mache keine törichten Fehler. Ich habe sorgfältig geübt. Du wirst keinen Schaden davontragen. Keinen dauerhaften.«
Alice leistete nicht den geringsten Widerstand, als Keiko sich abermals über ihren Mund beugte.
Cassie war dankbar für die kalten, harten Kacheln in ihrem Rücken. Wären sie nicht gewesen, hätten ihre Beine womöglich unter ihr nachgegeben. Sie drückte sich fester in die Ecke und behielt die beiden Mädchen im Neben2irnmer im Auge.
Keiko saugte abermals an Alice' Lippen, aber diesmal nur für einige Sekunden. Dann versteifte sie sich, hob abrupt den Kopf und schüttelte sich das leuchtend schwarze Haar aus den Augen.
Sie starrte auf den Nachttisch. Sie starrte auf die Stelle, an der Alice' Handy gelegen hatte und wo jetzt Isabellas goldene Haarspange lag.
Verdammt.
Die Badezimmertür wurde weit aufgestoßen und Keiko sprang Cassie wie ein Panther an. Etwas glitzerte in der Faust des Mädchens. Lang, gebogen, silbern. Eine Klinge.
Cassie schlug Keiko im Sprung die gläserne Duschtür ins Gesicht. Derart aus dem Gleichgewicht gebracht, brüllte Keiko vor Zorn, wankte und kam auf dem gekachelten Boden ins Rutschen. Abermals schlug Cassie der Japanerin die Duschtür mit aller Kraft gegen den Kopf, sprang aus der Dusche und stolperte auf die Badezimmertür zu. Eine unglaublich starke Hand packte sie am Knöchel. Panik würgte sie in der Kehle. Keiko hatte ihr Messer fallen lassen, aber jetzt tastete sie auf den glatten Fliesen danach.
Cassie schlug wild um sich und hämmerte mit Alice' Telefon auf Keikos Fingerknöchel, bis das Mädchen sie mit einem animalischen Schrei losließ. Dann warf Cassie Keiko das Telefon ins Gesicht und rannte los. Sie schlug die Badezimmertür hinter sich zu, aber sie wurde fast unverzüglich wieder aufgerissen.
Lauf, Cassie, lauf. Lauf einfach.
Der Flur war verlassen. Verdammt typisch. Cassie stürzte auf die Treppe zu. Der Abend war hereingebrochen. Die Wandleuchter verströmten ein schwaches Licht. Wie lange hatte sie sich versteckt und Alice beobachtet?
Zu lang. Flinke Schritte hinter ihr kamen näher und immer näher.
Cassie riss ein sich aufbäumendes steinernes Pferd von einem Marmorregal und drehte sich um, um es nach Keiko zu werfen. Es war so schwer, dass ihr vor Anstrengung die Luft wegblieb. Aber das andere Mädchen blieb stehen und wehrte die Skulptur mit einer Hand ab wie einen Kieselstein. Das Grinsen auf ihrem Gesicht war bösartig. Doch am auffälligsten waren ihre Augen. Sie waren nicht länger schön, dunkle Iris in klarem Weiß. Sie waren von einem Winkel zum anderen blutrot unterlaufen.
Keiko knurrte, warf ihr Messer von einer Hand in die andere. Dann stieß sie zu. Cassie wich aus und rannte stolpernd die Treppe hinunter. Die Schritte folgten ihr, wurden immer schneller. Durch ihr Keuchen hörte sie leises, hämisches Lachen, beinahe direkt an ihrem Ohr. Cassie schwang sich über das Geländer, fiel unbeholfen auf die nächste Treppenflucht und rannte wieder los.
Lass nicht zu, dass sie dich fängt.
Cassie stürzte sich über das letzte Treppengeländer und kam in der Eingangshalle taumelnd auf die Beine. Ihre Lungen brannten und das Entsetzen lähmte ihre Muskeln. Sie konnte nicht schnell genug laufen. Sie hielt sich an einem marmornen Arm fest und schwang sich in den tiefen Schatten unter einer Statue. Cassandra und Klytämnestra. Wie passend. Ich rieche tatsächlich Blut.
Etwas landete anmutig auf dem Marmorboden der Halle Sie musste sich still verhalten, vollkommen still. Aber in ihrer Kehle steckte ein schriller, entsetzter Schrei.
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