Dark Angels' Winter: Die Erfüllung (German Edition)
meine.
»Indie«, sagt Mum verzweifelt. »Was redest du eigentlich, ich kenne euch gar nicht mehr. Ich weiß gar nicht, wann ihr mir derartig …«
»Wir haben jetzt alles, was wir brauchen«, unterbreche ich Mum. »Wir müssen uns auf den Weg machen, damit wir rechtzeitig ankommen.«
»Ich weiß«, sagt Kat schlicht.
Mum sieht mit großen Augen zwischen uns hin und her.
»Ihr wisst, was ihr bis dahin noch alles tun müsst«, erinnert Kat uns, als wären wir in der Schule und nicht mitten auf der Durchgangsstraße von New Corbie. »Ihr dürft jetzt zehn Stunden schlafen. Tut das, ihr braucht alle eure Kraft für das, was jetzt kommt.«
Die Stille hängt in der Stadt, noch hört man keine Motoren, aber ich weiß, dass das bald anders sein wird. Emma, denkt Dawna und lässt abrupt meine Hand aus. Emma lebt.
»Danach müsst ihr bis zu eurer Stunde auf Schlaf und auf Essen verzichten.«
Ich sehe Dawna neben mir nicken. Kats Augen gleiten zu Mum, ein leichtes Lächeln liegt um ihre Lippen. »Vic«, sagt sie behutsam. »Die Mädchen werden dir alles erklären. Ihr müsst jetzt alles geben – in dem Büchlein, das Dawna bei sich hat, steht alles, was du wissen musst. Nutze die nächsten Tage, um es zu lernen.«
Mums Mund klappt auf und danach wieder zu.
»Du musst es lernen«, dringt Kat weiter in sie. »Versprich mir, dass du all deine geistigen Kräfte auf dieses Vorhaben lenkst.«
»Aber …«, wendet Mum ein, sieht hilflos zu Dawna und mir, dann auf ihre Hände.
»Kein Aber«, unterbricht Kat sie und legt ihr die Hand auf den Unterarm.
»Wir brauchen ein Navi«, sage ich knapp. »Außerdem sollten wir sehen, dass wir von hier wegkommen.«
Kats Augen werden dunkel.
»Ich befürchte, die Typen sind über alles informiert«, erkläre ich entschuldigend.
Hinter Kat taucht der Lauf einer Winchester auf. Die Comtesse schiebt Mum wortlos vom Steuer weg, wir rutschen alle weiter nach rechts. Ich nehme das Navi entgegen, ziehe den Zettel mit den Koordinaten aus meiner Hosentasche und gebe sie ein. Mit einer routinierten Bewegung setzt sie das Navi an die Autoscheibe. Das funktioniert nicht, will ich sagen, sie erreicht ja nicht einmal mit ihren Füßen die Pedale. Aber als hätten die letzten Ereignisse wirklich jede Energie aus mir gezogen, ist sie da, die unendliche Müdigkeit.
Kat verschränkt die Arme vor der Brust und bleibt einfach mitten auf der Straße stehen. Während die Comtesse den Pick-up wieder gerade stellt und um den Ford Bronco herumrangiert, sehe ich noch Kats Augen. Sie ist jetzt auf etwas anderes fokussiert. Etwas, das hinter uns liegt. Fast scheint es mir, als könnte ich eine riesige Blase erkennen, die sich wie ein Schirm zwischen uns und das Morrison Motel schiebt.
Dann gibt die Comtesse Gas.
31
Dawna
I ch drehe mich um. Aufrecht und unbeugsam steht Kat in der Mitte der Straße, sie blickt in Richtung des Motels und breitet die Arme aus. Schnee wirbelt wie eine Fahne hinter unserem Pick-up und Kat wird immer kleiner und kleiner. Ihre Macht wird die Engel eine Weile hinhalten können. Aber wie lange? Dann lenkt mich eine Bewegung von ihrer Gestalt ab und der Wüstenhund ist plötzlich bei ihr. Sein weißes Fell leuchtet im Mondlicht, reiner als der Schnee. Mit langsamen, federnden Tritten überquert er die Straße und stellt sich neben sie. Wie oft habe ich Granny mit ihm so stehen sehen. Wie oft lag ihre Hand auf seinem breiten Schädel. Und trotz aller Gefahr, trotz aller Angst und Hoffnungslosigkeit fliegt ein Lächeln über meine Lippen.
»Diego de la Vega«, flüstere ich, »gib auf sie acht.«
Indies Kopf liegt schwer auf meiner Schulter, ihr Körper fühlt sich an wie ein nasser Sack. Mum dagegen ist gespannt wie ein Bogen. Ich sitze zwischen den beiden und versuche verzweifelt, Mum alles zu erklären, aber sie kann mir einfach nicht zuhören. Alles, was sie sagt, ist: »Sie hat mir einfach nichts zugetraut.«
Als wäre ihr persönliches Problem mit Granny das einzige, was gerade von Bedeutung ist.
Die Comtesse blickt ohne jede Regung geradeaus, ob sie sich völlig ausgeklinkt hat oder sich auf die vereiste Straße konzentrieren muss, weiß ich nicht. Jedenfalls hat sie noch kein Wort gesagt. Ab und zu räuspert sie sich, was jedes Mal die leise Hoffnung in mir weckt, dass sie gleich etwas Klärendes beiträgt, doch dann schweigt sie weiter beharrlich. Das Navi zeigt noch achtzehn Stunden an, drei sind wir schon unterwegs. Für all die Wege, die wir mit Mum auf unseren
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