Dark Angels' Winter: Die Erfüllung (German Edition)
weit weg, in einer anderen Welt. Wie im Rausch jage ich das ganze Magazin durch, jede einzelne Kugel trifft das Ziel … aber doch wieder nicht, denn Shantani ist geschützt durch die blaue Hülle.
Erst als Mum zu kreischen beginnt und Kinder weinen, wache ich auf. Langsam lasse ich den Gewehrlauf zu Boden sinken und plötzlich wird mir klar, was meine Kugeln abfängt. Ein Schutzkreis. Nichts kann ihn verletzen. Ich wirble herum und sehe Dawna hinter mir stehen. Schweiß steht ihr auf der Stirn, so sehr konzentriert sie sich auf das, was sie gerade tut. Ihre Lippen bewegen sich tonlos. Sie schützt ihn. Sie schützt nicht ihre Mutter, sie schützt ihn, Shantani …
37
Dawna
W ieso tust du das? Wieso!?«
Ich weiß, dass Indie jetzt nicht aufgeben wird. Wütend reißt sie das Magazin aus dem Gewehr und drückt neue Kugeln hinein.
»Er ist nicht unser Vater, verstehst du das, hörst du mir zu?« Mit einem energischen Ruck repetiert sie das Gewehr durch, nur ich sehe, wie sehr ihre Hände dabei zittern. Die anderen Zigeuner sind zurückgewichen, einzig Chakal steht ungerührt neben Mum, deren Augen schreckgeweitet sind. Immer wieder blickt sie von mir zu Indie, dann zu Shantani, der immer noch von meinem Schutzkreis umgeben ist. Lange kann ich ihn nicht mehr aufrechterhalten, zu sehr haben mich die letzten Tage geschwächt, ich brauche all meinen Willen, um diese Hülle um seinen Körper stabil zu halten. Mir bleibt keine Kraft mehr, um zu sprechen und zu erklären, denn wenn ich spreche, wird Indie Shantani töten, oder die Zigeuner. Sie warten nur darauf. Ich bin mir nicht sicher, ob Chakal sie bändigen kann, sie sind wie ein einziger, näher rückender Pulsschlag, mühsam beherrscht und bereit anzugreifen.
»Hör damit auf! Du weißt, was er vorhat! Er will Mum aus dem Weg räumen, damit die Initiation scheitert!« Indies Stimme überschlägt sich, während sie erneut auf Shantani anlegt. Der nächste Schuss peitscht durch die Luft.
»Dann sind wir den Dunklen hilflos ausgeliefert!«
Noch ein Schuss und noch einer.
»Er wird Mum töten, und wenn der Tag gekommen ist, wird Azrael uns töten!«
Sie wird weitermachen, bis ich keine Kraft mehr habe, Shantani zu schützen. Zu spät erkannte ich die Gefahr, in der Mum schwebte, zu spät, um Indie von ihrem Plan abzubringen. Wenn ich nur eine Sekunde diese Konzentration löse, wird der Schutzkreis in sich zusammenfallen. Wenn Indie Shantani tötet, wird er Mum mit sich reißen. Wie konnte er sich so eng mit ihr verbinden? Ist es die Gabe des Suchers, Menschen an sich zu ketten, wie er es mit Dusk gemacht hat? Dusk konnte ich die Kette abnehmen. Mum muss es selbst tun. Ich verstehe nicht, warum Indie das nicht erkennt! Warum sie nicht erkennt, warum Shantani so gelassen abwartet. Auch er wird sein Leben für Azrael opfern, das ist seine Bestimmung und er wird sie erfüllen, wenn Mum mit ihm kommt. Freiwillig oder mit ihm zusammen, wenn er stirbt, durch eine Kugel aus Indies Gewehr oder dem Gewehr eines Zigeuners. Ich spüre, wie die Hülle um Shantani schwächer wird, die Worte fließen nur noch langsam und abgehackt durch meinen Kopf. Mit aller Kraft stemme ich mich dagegen, muss aber zusehen, wie sie langsam abgleitet, sich vor meinen Augen auflöst wie Wasserdampf.
Da renne ich los, die letzten Worte fliehen über meine Lippen. Ich breite meine Arme aus, stolpere über den Platz und erreiche Shantani genau in dem Moment, als die kalte Winterluft die Schutzhülle endgültig zersetzt. Ich drehe mich um, spüre Indies entsetzten und Mums verwunderten Blick auf mir. Die Nacht hat ihren schwärzesten Punkt erreicht.
»Gib Mum das Gewehr.« Mein Atem fliegt. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie die Zigeuner ihre Waffen auf uns anlegen. Sie werden diesem Spiel ein Ende bereiten. Im Schein der Fackeln rücken sie näher.
»Dawna«, höre ich Shantanis weiche Stimme hinter mir, »wie wunderbar, dass du dich auf unsere Seite stellst.«
Seine Hände legen sich links und rechts an meine Schultern, ein eiskalter Schauer läuft bei seiner Berührung über meinen Körper. Ich spüre, dass er kein Engel ist und schon gar nicht unser Vater.
»Gib. Mum. Das. Gewehr«, wiederhole ich langsam und deutlich. Ich sehe in Indies Augen und da ist nichts als Wut und Unverständnis.
»Indie. Schätzchen. Du solltest tun, was deine Schwester sagt. Sie kennt den richtigen Weg. Sie hat verstanden, wohin unsere Reise führt.«
Ich halte Indies Blick fest, selbst jetzt ist es das, was
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