Dark Angels' Winter: Die Erfüllung (German Edition)
mich hier aufrecht ausharren lässt. Unsere Verbindung ist stärker, denke ich. Indie. Unsere Verbindung ist stärker. Zwischen uns kann nichts kommen. Nichts. Niemand. Vertrau mir.
Langsam lässt Indie den Lauf des Gewehrs sinken und ich spüre Shantanis Lächeln im Nacken. Die Stille, die nun über dem Lager hängt, scheint ewig anzudauern.
»Gib Mum das Gewehr«, flüstere ich kaum hörbar und wie im Traum nehme ich wahr, wie Indie Mum das Gewehr in die Hand drückt. Ein Raunen geht durch die Menge der Zigeuner. Ein Zischeln, wie auf ein Kommando entsichern auch sie ihre Gewehre, sie scheinen nur noch auf ein Wort von Chakal zu warten, doch der schweigt. Versteht er, was hier vor sich geht?
»Nun komm, Vic«, Shantanis Hände streichen über meine Seiten, »verlassen wir diesen schrecklichen Ort. Ich werde dir und deinen Töchtern einen Ort der Geborgenheit schenken. Einen Ort, wo nur Liebe und Eintracht herrschen.«
»Er spricht von der Hölle.« Chakals Worte lassen Mum zusammenzucken. Sie hält das Gewehr hilflos in der rechten Hand. Sie hat noch nie geschossen. Sie hat noch nie ein Gewehr berührt und ich kann nur ahnen, was gerade in ihr vorgeht. Panisch sieht sie zuerst mich, dann Shantani an.
»Du musst es tun«, sage ich. Eine seltsame Ruhe legt sich über mich. Ich muss an Miss Anderson denken, die mir alles gelehrt hat, was ich nun brauche, und ich muss an Granny denken, die alle Zeichen deutete und erkannte, was wir sein würden. Sie hatte an alles gedacht. Sie hatte Emma versteckt, weil sie wusste, dass Azrael ihre Seele nehmen würde, wenn sie sich nicht umbrachte. Und sie wusste, dass wir sie als Joker brauchen würden, falls ihr selbst etwas zustoßen würde. Sie brachte Cheb auf ihre Seite und damit das Rudel. Sie sorgte dafür, dass Mum einen Engel traf und uns empfing. Sie hatte Mum ausgebildet und sich vom Orden gelöst, als klar wurde, dass der Orden ihr nicht glaubte. Wo hatte sie ihre Stärke hergenommen? Ihren Glauben, dass sich die Dinge zur guten Seite neigen würden?
»Sie hat es nicht gewusst«, flüstert Shantani in mein Ohr und auch sein Atem ist eiskalt. »Sie hat alles verspielt, der Einsatz war zu hoch, als sie dachte, sie könne es alleine schaffen. Ernestine war klug. Sie hat es tatsächlich fertiggebracht, uns eine Weile zu täuschen. Doch wir ruhen nie. Das Böse ruht nie und findet seinen Weg.«
»Nun«, flüstere ich zurück, »dann müssen wir zusehen, dass die Karten neu gemischt werden.«
Shantani lacht leise.
»Deine Großmutter hat eines nicht bedacht. Ihre Tochter hat eine Rolle, der sie nicht gewachsen ist. Sie ist das schwächste Glied und das wird sich auch nicht ändern. Sieh sie dir an. Sie hat noch nie eine Entscheidung alleine getroffen.«
»Du kennst sie nicht.«
Wieder lacht Shantani, er ist sich so sicher, dass Mum mit ihm kommen wird, dass sie uns verraten wird, um bei ihm zu sein.
»Ich kenne sie gut genug.«
Ich hefte meinen Blick auf Mum. Chakal stellt sich behutsam hinter sie, umfasst ihre Arme an den Ellenbogen, damit sie das Gewehr hochnimmt, dann legt er ihren Finger an den Abzug. Er hat verstanden. Als wieder ein Raunen durch die Zigeuner geht, bringt er sie mit einer Kopfbewegung zum Schweigen. Dann legt er seine Hand auf Mums Hand, bis sie zu zittern aufhört. Ich weiß nicht, worauf sie zielt. Auf Shantanis Herz und zugleich auf mein Herz. Sie schwankt und Chakal lehnt sich mit seinem Oberkörper gegen Mums Rücken. Indie steht wie erstarrt neben ihr, doch nun kann ich mich nicht gedanklich mit ihr verbinden. Meine Sinne sind geschärft. Ich nicke Mum zu und sehe, wie ihr Finger den Abzug durchdrückt. Der Schuss, der jetzt die Stille zerreißt, ist tödlich. Ich weiß es, bevor ich mich fallen lasse, ich weiß es, bevor ich den hart gefrorenen Boden berühre. Ich weiß es, ohne mich umzudrehen.
Wie in Zeitlupe beginnen sich die Zigeuner, die bis jetzt ruhig um uns herumstanden, zu bewegen. Mum starrt auf die Leiche von Shantani herab, dann geht alles ganz schnell. Aus Chakals Kehle dringt ein dumpfes Grollen, das sich wie ein Lauffeuer im ganzen Lager ausbreitet. Die Verwandlung in Wölfe ist so blitzschnell, dass ich erschrocken einen Schritt von Shantani zurückweiche, aber sie beachten uns nicht. Mit einer Wut und einer Gier ohnegleichen stürzen sie sich auf die Leiche, als könnten sie es nicht ertragen, ihn weiter in ihrem Lager zu haben. Die Worte von Granny huschen durch meinen Kopf. Du kannst keinen Wolf dominieren, sie sind
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