Dark Angels' Winter: Die Erfüllung (German Edition)
doch die Frauen sieht sie nicht. Das Lager hat sie verschluckt. Recht so, denkt sie, dies ist die Welt, in der Männer die Kriege führen.
Der Wind biegt das trockene Gras und schlägt mit seiner gleichmütigen Hand gegen die Wagen der Zigeuner. Schon in der Nacht hat sie die Nachricht überbracht, dass sie wieder da sind, an dem Ort, den sie so lange gemieden hatten. Das konnte nur eines bedeuten und darüber wunderte sich Lilli-Thi. Niemand war auf der Seite der Mädchen. Niemand außer diese lächerlichen Gestalten, die sich in Whistling Wing zusammenrotteten. Sie muss zugeben, dass leichte Bewunderung für die Mädchen in ihr hochsteigt. Ein Gefühl, das sich schon im Orden in ihr regte, als sie Hals über Kopf abreisten, die Aufnahme ablehnten. Waren sie aus ähnlichem Holz geschnitzt wie sie selbst? Sie kneift die Augen zusammen.
»Schakale werden in der Wüste lagern, wilde Hunde schlafen zwischen Dornen und Sträuchern, dort rastet auch Lilith und findet einen Ruheplatz für sich …«, flüstert sie.
Die Wölfe würden für die Hüterinnen kämpfen. Sie würden sich an den Vertrag halten.
Die Sehnsucht nach der Nacht und der Einsamkeit legt sich dumpf auf ihre Brust und doch findet sie immer einen Einwand, um zu bleiben. In Wirklichkeit ist es Samael, der sie an die Erde bindet, sie daran hindert davonzufliegen. Nicht das Mädchen hat Lilli-Thi ihre Flügel genommen. Es war Samael.
16
Dawna
V iele erkenne ich aus der kurzen Zeit im Winterlager wieder. Meallan, Yuma und Wakiza, Mileys Cousins, der alte Tohon und Igasho, der Wanderer, und Iye, Chebs Wächter. Im Vorbeigehen nicke ich ihnen zu, unser Verhältnis war distanziert, aber freundlich. Es war, als wüssten sie nicht, was sie mit uns anfangen sollten, ob sie uns hassen oder Ehrfurcht empfinden sollten. Indie brach das Eis, indem sie auf alle zuging und das Gespräch suchte. Ich hielt mich zurück, mir erschien das Gleichgewicht zu zerbrechlich. Sie waren dunkel und voller Geheimnisse, Geheimnisse, die sie nicht teilen wollten, die sie hinter dem Blinzeln ihrer Wolfsaugen versteckten. Sie wussten von Miley und mir, deswegen respektierten sie mich.
Die Wagen sind wie auch im Winterlager in großen Spiralen aufgestellt, doch alles wirkt in Eile aufgebaut. Es gibt keine Zelte und viele Wagen sind nicht von den schweren Pick-up-Trucks abgekoppelt. Vor einigen Wagen liegen riesige Wölfe lang ausgestreckt, sie heben nicht einmal ihre Köpfe, als wir vorbeigehen, doch an ihren Flanken erkenne ich ihre Anspannung. Ich würde mich gerne zu ihnen hinunterbeugen und ihr raues Fell streicheln und ich muss an Dusks Worte denken, dass wir die sind, die mit den Wölfen laufen.
»Wir hätten zusammenbleiben sollen«, flüstert Mum. »Ich habe kein gutes Gefühl, wenn Indie hier alleine herumstreift.«
Ich nehme ihre Hand, denn ich spüre ihre Angst.
»Indie kann gut auf sich selbst aufpassen«, flüstere ich und versuche, Indie in Gedanken aufzuspüren, doch es gelingt mir nicht.
»Ich glaube sowieso, dass er den Wagen bewohnt, der ganz im Inneren des Lagers liegt. Schließlich ist er jetzt der Chef. Wir müssen ihn nicht suchen.«
Stimmt, er ist Chebs Nachfolger. Miley hatte mir erzählt, wie lange Chakal auf diesen Moment gewartet hatte. Die Tage im Lager kommen mir in den Sinn, die Tage nach dem großen Kampf. Die Zigeuner legten die Toten nebeneinander, nur Cheb wurde vor seinem Wagen aufgebahrt. Alle wurden im Tod wieder zu Wölfen. Die Frauen klagten drei Tage lang ohne Unterlass, sie fürchteten den Mulo, den Totengeist, der zurückkehren würde, um Unglück über den Stamm zu bringen und die Seelen der Toten zu holen. Sie zerrissen ihre Kleider, um ihn abzuwehren, und machten für jeden Toten vierzig Knoten in ein Band. Wir schlichen im Lager umher, immer in der Angst zu stören. Nach drei Tagen begannen die Frauen zu tanzen, sie beschmierten ihre Gesichter mit Asche, wild und schön, so trieben sie den Mulo aus der Schlucht, ihre Schreie hallten durch die Berge. Danach knoteten sie die Bänder wieder auf. Das Begräbnis war schlicht. In jedes Grab wurde ein Glas Wasser gegossen und eine Kerze gestellt, denn der Mulo fürchtet Feuer und Wasser.
Die Spiralen werden enger und schließlich stehen wir vor dem letzten Wagen, ein doppelachsiger Airstream an einem silbernen Mercedes.
»Ich geh da jetzt rein.« Mum sieht mich fest an. «Es ist besser, wenn ich alleine mit ihm spreche.«
Ich habe ein ungutes Gefühl, schon bei unserem Aufbruch zum
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