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dark canopy

Titel: dark canopy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Benkau
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Percents über ihre Haut atmeten und rochen, waren bei ihm wie verkrustet. Zugeklebt, als wäre seine oberste Hautschicht zu einer Flüssigkeit voller Bläschen verschmolzen und wieder fest geworden. Ich sah keine Bewegung, kein Vibrieren. Die Haut war ... wie tote Rinde.
    »Wie ist das passiert?« Ich näherte mich seinem Arm mit den Fingerspitzen und sah ihn fragend an. Er nickte und ich berührte seine Haut. Rau und schuppig fühlte sie sich an. Verkrustet.
    »Das kommt von der Sonne. Ich kann mich kaum daran erinnern, ich war noch klein, etwa drei Jahre alt. Hast du schon mal von dem Tag gehört, als Dark Canopy sabotiert wurde?«
    Ich widerstand dem Impuls, mir eine Hand vor den Mund zu pressen. Oder beide auf die Ohren. Er meinte den Blutsonnentag! Die plötzliche Anspannung drückte mir die Brust zu. Trotzdem presste ich hervor: »Erzähl mir davon.«
    »Das willst du nicht hören.«
    »Was ich hören will, entscheide ich. Wenn du kannst, dann erzähl es mir. Bitte.«
    »Nun gut.« Graves zuckte mit den Schultern. »Die Menschen gingen auf die Barrikaden damals. Sie waren vollkommen außer sich, jubelten, tobten, sangen Lieder und randalierten. Es herrschte das totale Chaos, weil die ausgebildeten Percents zum größten Teil abberufen worden waren, um Dark Canopy zu verteidigen und wieder in Betrieb zu nehmen. Die Varlets waren mit der Situation völlig überfordert. Ich war im Krankenhaus - dort werden unsere Kinder aufgezogen, bis sie vier oder fünf Jahre alt sind. Dann werden sie den Mentoren übergeben. Selbst ins Krankenhaus brachen die Menschen ein. Sie ... sie legten Feuer und ...«
    Und ich wurde gerade geboren.
    »Es waren Zustände, wie ich sie hinterher nie wieder erlebt habe.« Graves’ Blick glitt in die Ferne, durch das Fenster direkt zum Wald, als würde er sich ebenso gerne dort verstecken wie ich. Monoton sprach er weiter. »Die Männer schlugen die Menschenfrauen nieder, die für unsere Pflege verantwortlich waren und die Kleinsten verteidigen wollten. Säuglinge, die vor Tagen erst aus den Bruttanks geholt worden waren, flogen durch die Luft und klatschten gegen die Zimmerwände. Auf dem Weiß waren überall rote Schlieren. Ich sah, wie ein winziges Neugeborenes mit schweren Stiefeln zertrampelt wurde. Ich sah, wie einer gefangenen Frau der Bauch aufgeschlitzt und der Fötus herausgerissen wurde.«
    Ich hätte ihn beinahe angefleht, nicht weiterzusprechen. Aber mein Mund war verstopft von einem Knebel aus Fassungslosigkeit. Ich glaubte, tief in meinem Kopf grölende Stimmen zu hören, wie ein Echo meiner allerersten, vagen Erinnerungen, gerufen im Takt eines Kindersingspiels: Vernichtet ihre Brut. Ver-nich-tet ih-re Brut!
    »Was ist dann passiert?«, flüsterte ich.
    Graves zog das Band aus seinem Zopf, um ihn neu zu binden und sogleich wieder eine Strähne herauszuzerren. Er ging so ruppig vor, dass er sich dabei einige Haare ausriss, aber seine Stimme behielt ihren fast teilnahmslosen Klang. »Eine unserer Pflegerinnen rannte mit uns größeren Jungs zum Treppenhaus. Sie flüsterte uns zu, wir sollten in den Keller laufen und uns in den Wäschewagen verstecken, wie wir es manchmal beim Spielen machten. Wir stürmten auch gleich los, während sie in der Tür zum Treppenhaus stehen blieb und den Männern den Durchgang verwehrte. Sie schrie: »Lasst die Kinder, lasst doch bitte die Kinder!« Ich erinnere mich, dass sie sie zu Boden warfen und ihr ins Gesicht traten. Und die Hände, sie zertraten ihr die Finger, als wären es Kakerlaken. »Verräterische Schlampe!«, haben sie gebrüllt. Ich stand auf der Treppe, konnte mich nicht rühren. Die Pflegerin rief mir zu: »Lauf, Kleiner, lauf endlich!«, oder irgendsowas in der Art, aber ich konnte es kaum verstehen, weil Blut aus ihrem Mund quoll. Ihre Zähne fielen vor ihr auf den Boden, als würde sie Kirschkerne ausspucken. Ich rannte los, weil einer der Männer näher kam, aber in den Keller konnte ich nicht mehr. Ich rüttelte an der Stahltür, aber irgendwer hatte sie von innen verschlossen. Vielleicht war ich auch bloß zu klein und zu schwach, um sie aufzuziehen. Also lief ich nach draußen. Und da war überall die Sonne.« Graves zeigte mir die Innenseite seiner Unterarme. Hier sah man es deutlich: Narben. Runde und halbrunde Schatten von Blasen, die seine Haut damals geworfen hatte. »Ich glaubte, ich würde verbrennen«, sagte er, es klang heiß und kalt und gleichgültig zugleich. »Aber ich verbrannte nicht, nur meine Haut, die

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