Dark City 2 (Die Tränen des Lichts) (German Edition)
brach. Er ging zu Boden, und ich hab immer wieder auf ihn eingetreten, immer und immer wieder. Und dann hab ich ihn einfach liegen gelassen, hab die Pillen genommen und bin gegangen. Ich weiß nicht, ob er überlebt hat. Und jetzt …» Er schloss seine Faust um das Päckchen. «Wenn es jemand verdient hat zu sterben, dann ich. Nicht Ephrion … nicht Ephi, verstehst du?»
Sein Körper bebte. Er ließ seinen Tränen freien Lauf. Er weinte und schluchzte wie ein kleines Kind. Er weinte bitterlich. All der Schmutz, all das, was er in den vergangenen Jahren an Schuld auf sich geladen hatte, brach aus ihm heraus. All die Gefühle von Verlassenheit und Einsamkeit, all der Hass, der sich über die Jahre hinweg in ihm angestaut hatte, der Hass auf Gott und die Welt, der Hass auf sich selbst, all das wurde aus ihm herausgespült. Nie zuvor war er sich so verletzlich vorgekommen, so klein und erbärmlich.
Miro saß die ganze Zeit neben ihm und hing seinen eigenen Gedanken nach. Schweigend saßen die beiden Burschen im Regen und starrten in den unendlichen Sumpf hinaus. Längst waren sie klatschnass, aber es war ihnen egal. Irgendwann, als Joash aufgehört hatte zu weinen und nichts mehr in ihm übrig war als eine gähnende Leere, ergriff Miro das Wort.
«Vielleicht solltest du das Zeug wegwerfen», meinte er. «Ein Zeichen setzen, weißt du?» Joash betrachtete das Päckchen in seiner Hand und presste die Lippen aufeinander. Er erinnerte sich zurück an die Prüfung, die ihm Master Kwando auferlegt hatte. Er hatte zwischen seinem und Ephrions Leben wählen müssen und hatte sich für Ephrion entschieden. Jetzt hatte sich Ephrion für ihn entschieden. Mit einem Mal war es Joash, als würde die Leere, die er eben noch in seinem Herzen empfunden hatte, mit einem unerklärlichen Frieden ausgefüllt. Er sah Miro an und nickte.
«Du hast Recht, Mann», sagte er und straffte seine Schultern. «Ich muss ein Zeichen setzen.» Dann nahm er das weiße Drogenpäckchen und schleuderte es ins Wasser hinaus. Es blieb einen Moment an der Oberfläche, dann sog es sich mit Wasser voll und versank im öligschwarzen Sumpf.
«Danke, Ephi», flüsterte Joash, und seine Augen füllten sich erneut mit Tränen. Doch diesmal schimmerte zwischen den Tränen ein zaghaftes Lächeln hindurch.
«Wollen wir reingehen?», fragte ihn Miro.
«Warte», sagte Joash und hielt ihn am Arm zurück. «Da ist noch etwas, was ich in Ordnung bringen möchte.» Er griff erneut in die Hosentasche und fischte eine Handvoll Münzen heraus. «Hier. Das ist alles, was von der Goldmünze übrig ist. Nimm es. Ich will es nicht mehr.» Er nahm Miros Hand und legte das Geld hinein.
«Nein», sagte Miro und gab ihm die Drakaten zurück. «Behalte du es.»
«Das kann ich nicht.»
Miro nahm Joashs Hände und schloss sie um die Drakaten. «Hüte es für uns. Ich vertrau dir damit. Und jetzt komm, es wird langsam ungemütlich hier draußen.»
Er klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter und erhob sich. Joash sah mit gerunzelter Stirn auf die vielen Münzen in seinen Händen, dann steckte er sie ein und folgte Miro in die Hütte zurück. Obwohl die Trauer noch immer schwer auf ihm lastete, kam es ihm so vor, als wäre er um mindestens eine Tonne leichter geworden.
Miro und Joash legten sich eine warme Decke um die Schultern und gesellten sich zu Aliyah und Sihana, die neben Ephrion auf dem Boden knieten. Ephrion sah aus, als würde er friedlich schlafen. Er wirkte entspannt und strahlte eine unendliche Ruhe aus. Er sah zufrieden aus, zufrieden und glücklich, so als wäre er am Ziel angekommen. Sihana ergriff Ephrions rechte Hand und sah ihn liebevoll an.
«Das, was du für meine Mutter getan hast, das werde ich dir nie vergessen.» Sie hob seine kalte Hand an ihr Gesicht und küsste sie. Eben wollte sie sie wieder sachte auf seine Brust zurücklegen, als etwas Eigenartiges geschah: Die Innenfläche seiner Hand begann zu leuchten. Vor ihren Augen bildete sich in der Mitte seiner Handfläche ein Zeichen. Es schien sich wie von selbst in Ephrions Hand zu brennen, und die feinen Linien leuchteten wie flüssiges Glas. Dampfender Rauch stieg aus seiner Handfläche hervor. Es zischte, wie wenn Wasser auf glühendes Eisen trifft. Dann erlosch der Glanz, und zurück blieb ein Brandmal. Es zeigte einen aufrecht stehenden Löwen, die mächtige Pranke auf einen Schild gelegt, und Strahlen gingen nach allen Richtungen von ihm weg.
Es war das Wappen Shaírias. Das Zeichen der
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