Dark City 2 (Die Tränen des Lichts) (German Edition)
Propheten.
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Im Rittersaal herrschte eine angespannte Atmosphäre. Es war zehn Uhr in der Früh. Vier Männer saßen in schweren Stühlen aus massivem Holz um den runden Tisch und diskutierten eifrig miteinander. Es waren die vier Stadtbarone Dark Citys, Akshar, Montreal, Zara und Hevan. Drakar hatte sie für eine Krisensitzung auf seine Burg gebeten. Erst sieben Tage waren seit ihrer letzten Besprechung vergangen, doch so vieles war in der Zwischenzeit geschehen, dass es schien, als wären Monate vergangen. Die Barone hatten ihre Schwerter, die Spitzen nach innen gerichtet, auf den Tisch gelegt und trugen prunkvolle Trachten. Das Symbol eines jeden Bezirks war auf ihre Umhänge gestickt, und jeder trug einen Siegelring mit demselben Zeichen an seinem Finger.
Die Tür flog auf, und Drakar trat ein. Er trug einen langen schwarzen Mantel, der beim Gehen hinter ihm herflatterte, grobe Stiefel und schwarze Lederhandschuhe. Die Männer erhoben sich von ihren Stühlen und verneigten sich ehrfurchtsvoll. Drakar machte eine flüchtige Bewegung mit seiner Hand, und die vier Stadtbarone setzten sich wieder. Er selbst blieb neben seinem Stuhl stehen, stützte sich mit den Fäusten auf den Tisch und ließ seine kleinen schwarzen Augen über die anwesenden Männer gleiten. Sein Blick war finster und entschlossen.
«Meine Herren, euch allein ist bekannt, warum ich diese Krisensitzung einberufen habe. Seit Isabellas Hinrichtung laufen die Dinge aus dem Ruder. Die Verräter, die vor sieben Tagen aus dem Gefängnis entkommen sind, befinden sich irgendwo in den Ewigen Sümpfen. Ritter Goran und Ritter Mangol sind ihnen dicht auf den Fersen und werden sie sich schnappen, sobald sich eine Gelegenheit dazu ergibt. Aber noch ist unklar, was die Jugendlichen dazu bewegt hat, sich in die Ewigen Sümpfe zu wagen. Auch wissen wir nicht, ob sich das letzte Buch der Prophetie womöglich in ihrem Besitz befindet. Ihr kennt die Macht des Buches. Ihr wisst, was geschieht, sollte die Prophezeiung in Erfüllung gehen.»
«Eure Hoheit, glaubt Ihr wirklich an die Existenz dieses Hexenbuches und an die Prophetie?»
Die Frage kam von Hevan. Hevan war mit seinen achtzehn Jahren der jüngste der vier Stadtbarone. Nach dem Tod seines Vaters hatte er erst vor wenigen Monaten die Regierung über den Ostbezirk übernommen. Hevan war schlank, hatte gewelltes, dunkelblondes Haar und sanfte Gesichtszüge und wirkte zuweilen etwas unsicher in seiner Rolle. Er trug ein weißes Leinenhemd, darüber ein gelbes Wams aus schimmerndem Samt und weite braune Hosen.
Drakar wandte sich ihm zu. «Wir wären Narren, würden wir es nicht tun. Die Zeichen sind eindeutig. Ihr wisst, was vor dreiunddreißig Jahren passiert ist, als mein Vater den zur Verantwortung zog, der uns das Leben hinter dieser Mauer eingebrockt hatte. Mein Vater wollte ihn hinrichten lassen. Doch vor Sonnenaufgang verschwand der, dessen Name nicht genannt werden soll, auf mysteriöse Weise aus dem Kerker. Am selben Tag stürzte der brennende Fels ins Meer. Dann kam der Nebel, und die Finsternis machte sich breit. Ihr kennt die Geschichte. Ihr wisst, wozu die Hexen in der Lage sind. Mein Vater hat alles darangesetzt, das Geschlecht der Hexen auszurotten. Es wird Zeit, dass wir sein Werk vollenden.»
Akshar, der Baron des Nordbezirks, blickte grimmig drein. Sein Einzugsgebiet waren der Norden der Stadt Dark City sowie sämtliche Ortschaften im Norden des Stadtstaates. Er war ein stämmiger, kleinwüchsiger Mann um die vierzig, kahlköpfig und mit dicken, buschigen Augenbrauen, die beim Sprechen energisch auf- und niederhüpften. Er trug eine langärmlige weinrote Tunika aus edlem Samt mit goldenen Bordüren verziert, dazu ein schwarzes Barett auf dem Kopf.
«Was gedenkt Ihr zu tun, Eure Hoheit?», fragte er.
«Ich weiß nicht, wie viel Zeit uns noch bleibt», erklärte Drakar. «Ich weiß nicht, wie viele von ihnen sich schon heimlich zusammengerottet haben. Aber ich weiß, dass es in Dark City brodelt. Der Aufstand der Hexen steht kurz bevor. Sie werden versuchen, Dark City in ihre Gewalt zu bringen. Und zwar bald, sehr bald. Morgen, übermorgen, in einem Monat. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur eines: Wenn wir nicht auf ihren Angriff vorbereitet sind, dann werden sie uns mit ihren Zauberkräften überrollen wie vor dreiunddreißig Jahren, als sie die große Nebelkatastrophe heraufbeschworen. Die Zeit ist gekommen, meine Herren. Ob wir es wollen oder nicht: Es wird Krieg geben.»
Die Barone
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