Dark City 2 (Die Tränen des Lichts) (German Edition)
mitnehmen? Das ist viel zu gefährlich!», meinte Aliyah entschieden. «Weiß deine Mutter davon?»
«Wenn sie den Brief auf dem Küchentisch gefunden hat, dann ja.»
«Warum willst du mitkommen?», fragte Ephrion.
«Ich will meinen Vater wiedersehen», erklärte Sihana geradeheraus. «Ich glaube, dass ich ihn finden werde, wenn ich mit euch zusammen bin.»
«Wie kommst du denn darauf?», wunderte sich Aliyah.
Sihana hielt ihre schräg über die Schulter gehängte Tasche fest und zuckte die Achseln. «Ich weiß es einfach», antwortete sie mit einem hoffnungsvollen Lächeln im Gesicht.
33
Sieben Jahre zuvor …
«Ich will nicht, dass du nach Dark City gehst, Elkor! Warum bleibst du nicht hier?»
Die zehnjährige Sihana saß schluchzend auf ihrem Bett. Sie hatte ihr blondes, schulterlanges Haar mit mehreren rosa Spangen zurückgesteckt. Ihr achtzehnjähriger Bruder kniete vor ihr und hielt ihre Hände fest.
«Siha, es ist eine große Chance für mich. Die nehmen nicht jeden an dieser Fachschule. Ich komm dich besuchen, so oft es geht. Versprochen.»
Sihana schniefte. «Das sagst du nur so. Du wirst nicht zurückkommen, genau wie Papa.»
«Hey», sagte Elkor und berührte sanft ihr Kinn. «Sieh mich an, Siha. Ich weiß, wie sehr du ihn vermisst. Das tue ich auch. Aber du wirst ihn wiedersehen.»
«Das werde ich nicht», wimmerte Sihana, und Tränen flossen ihr übers Gesicht. «Es ist schon drei Jahre her. Er kommt nicht zurück. Und wenn du auch noch gehst, dann sind Mama und ich ganz allein. Sie hustet fast jede Nacht. Ich glaube, sie ist wirklich krank. Ich habe solche Angst um sie. Geh nicht, Elkor, bitte-bitte geh nicht!»
Elkor strich sich eine seiner Haarsträhnen hinters Ohr, setzte sich neben seine kleine Schwester aufs Bett und drückte sie an sich. Sie schluchzte herzergreifend. Elkor holte ein Taschentuch hervor und reichte es ihr. Er wartete, bis sie sich einigermaßen erholte, dann fasste er sie an der Schulter und sah sie direkt an.
«Siha, ich möchte dir etwas zeigen.»
Er stand auf und bedeutete ihr, ihm zu folgen.
«Was ist es?», fragte Sihana und schnäuzte sich die Nase.
«Es hat mit Papa zu tun», sagte Elkor, während er die Wendeltreppe ins Wohnzimmer hinunterstieg. «Mit seinem Verschwinden.»
Sihanas Augen hellten sich auf. «Du weißt, warum er verschwunden ist?»
«Nein», sagte Elkor, «er hat nie mit mir darüber gesprochen. Ich hätte ihm wahrscheinlich damals eh nicht zugehört. Und Mama hat ebenfalls geschwiegen, bis vor ungefähr einem Jahr. Da hat sie es mir gezeigt.»
«Was hat sie dir gezeigt?»
Elkor stieg die Treppe in den Keller hinunter, und Sihana folgte ihm neugierig. «Was hat sie dir gezeigt?», fragte Sihana ungeduldig.
«Das hier», antwortete ihr Bruder und blieb vor dem großen Schrank am Ende des Korridors stehen. Sihana sah ihn verwirrt an. In dem Schrank bewahrte ihre Mutter alte Kleider auf. Er war das einzige Möbelstück im ganzen Haus, das sie beim Einzug übernommen hatten. Weshalb, das wusste Sihana nicht, und es hatte sie auch nicht interessiert.
Ohne eine weitere Erklärung abzugeben, öffnete Elkor den Schrank, schob die Kleider zur Seite, stieg hinein und machte sich an der Rückwand zu schaffen. Sihana klappte die Kinnlade herunter, als sie sah, wie ihr Bruder die Rückwand zur Seite schob und einen Veolichtschalter anknipste.
«Bei Shaíria», murmelte Sihana verblüfft. «Was ist das?»
«Papas geheimes Arbeitszimmer», erklärte ihr Elkor.
«Davon wusste ich nichts», stellte Sihana fest.
Elkor lächelte. «Ich auch nicht bis vor einem Jahr. Als sie die Villa kauften, gab es dieses verborgene Zimmer offenbar bereits. Papa habe sich öfters hierhin zurückgezogen, sagte mir Mama. Komm, ich zeig’s dir.» Er kletterte durch den Schrank hindurch, reichte Sihana die Hand und zog das staunende Mädchen zu sich herüber. Sihana sah sich fasziniert um. Der Raum war so groß wie ein normales Zimmer. Es gab keine Fenster. Die Wände waren mit Regalen zugestellt, auf denen sich tonnenweise Bücher und eine Unmenge von leeren Glaskästen stapelten. An der gegenüberliegenden Wand standen ein Drehstuhl und ein alter Schreibtisch. Darüber hingen ein paar Bilder von Elkor, Sihana und ihrer Mutter. Das Zimmer war über und über mit Spinnweben durchkreuzt. Sie hingen von der Decke, von den Regalen, von den Wänden. Der gesamte Raum glich einem einzigen riesigen grauen Kokon aus einem feingesponnenen Gewebe. So etwas hatte Sihana noch nie
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