Dark City 2 (Die Tränen des Lichts) (German Edition)
gesehen.
«Wow», brachte sie erstaunt hervor.
«So hat Mama den Raum vorgefunden an dem Tag, als Papa verschwand», berichtete Elkor.
«Papa hat hier drin gearbeitet?», wunderte sich Sihana und zupfte sich angeekelt einen klebrigen Faden von der Schulter. «Mitten in diesen Spinnweben?»
«Es scheint so, ja. Mama hat den Raum nie mehr betreten seit jenem Tag. Nicht einmal, als sie mir das Zimmer zeigte, kam sie mit rein. Es sei ihr zu gespenstisch, sagte sie.»
«Was hat Papa hier unten gemacht?», fragte Sihana, während sie eine Spinnwebe zur Seite schob, die unmittelbar vor ihrem Gesicht hing.
Elkor watete durch das dichte Spinnengewebe zu einem Regal und klopfte an einen der unzähligen Glaskästen. «Er hat Spinnen gezüchtet, sagt Mama.»
«Was?», rief Sihana. «Wozu? Spinnen züchten? Das versteh ich nicht.»
Elkor zog den Mund schief. «Glaub mir, Siha, ich versteh’s auch nicht. Ich versteh vieles nicht. Ich weiß nur, dass Papa sich damals immer merkwürdiger verhielt. Dir ist es nicht weiter aufgefallen. Du warst ja erst sieben. Aber ich hab schon gemerkt, dass etwas nicht stimmte. Er hat sich keinen Schlips mehr umgebunden, um zur Arbeit zu gehen. Er war zerstreut und irgendwie verwildert. Weißt du noch, wie wichtig es ihm war, dass ich gute Noten nach Hause brachte? Auf einmal interessierte es ihn nicht mehr. Er hatte seinen Kopf ganz woanders. Deswegen hat er wohl auch seinen Job verloren.»
Er ging zum Schreibtisch, öffnete eine Schublade und holte ein schwarzes, zerknittertes Büchlein hervor. Als er es auf den Tisch legte, wirbelte Staub auf.
«An dem Tag, als Papa verschwand, fand Mama das hier.»
«Was ist es?»
«Eine Art Tagebuch.»
«Papas Tagebuch?», fragte Sihana, und ein Schimmer von Hoffnung flackerte in ihren mandelbraunen Augen auf. «Schreibt er, wohin er gegangen ist?»
Elkor nahm das Büchlein, blätterte darin herum und begann willkürlich einige Stellen daraus vorzulesen.
«10. Adar. Ich hatte schon wieder diesen Traum … Spinnen, überall sind Spinnen … und dann diese Gesichter. Ich kann sie nicht zuordnen. Sie sehen mich nur an, als bräuchten sie meine Hilfe. Was hat das alles zu bedeuten? Wer sind diese Jugendlichen? Warum träume ich jede Nacht von ihnen? Was passiert mit mir? Verliere ich den Verstand? …» Elkor blätterte ein paar Seiten weiter. «25. Adar. Mein Leben ist so sinnlos. Wozu bin ich hier? Ich liebe meine Frau, meine Kinder. Und doch fühle ich mich hin- und hergerissen … Sie rufen mich. Ich höre ihre Stimmen jede Nacht. Ich muss ihnen helfen. Ich weiß nicht, warum. Aber wenn ich es nicht tue, ist alles verloren …»
Sihana hörte ihrem Bruder wie gebannt zu. Elkor sah auf und streckte ihr das Büchlein entgegen. «Hier, Siha. Nimm es. Mama sagte mir, ich solle es dir geben, wenn ich denke, dass du alt genug dazu bist, um es zu verstehen. Nun, ich denke, du bist alt genug.»
Sihanas Herz begann zu hüpfen. Sie schritt durch die dichten Spinnweben zu ihrem Bruder und nahm das Tagebuch ehrfurchtsvoll entgegen.
«Danke», murmelte sie und begann bedächtig darin herumzublättern. Elkor ließ seinen Blick durch das Zimmer gleiten, dann meinte er:
«Tust du mir einen Gefallen, Siha? Wenn ich fort bin, bringst du Mama her und ihr beide macht die Spinnweben weg? Es ist Zeit, dass Mama aufhört zu trauern und wieder nach vorne schaut. Kannst du das für mich tun?»
«Ist gut», nickte Sihana. «Und du kommst mich besuchen, ja?»
«Versprochen», sagte Elkor und kniff seine kleine Schwester zärtlich in die Wange. «Komm, gehn wir. Du kannst mir beim Packen helfen, wenn du magst.»
Sie stapften durch das klebrige Netz zum Schrank zurück, Elkor löschte das Veolicht, und der geheimnisvolle Spinnenraum verschwand hinter ihnen in der Dunkelheit. An diesem Abend lag Sihana noch lange wach. Sie hatte sich die Bettdecke bis über die Ohren gezogen und las im Schein einer Veolichtstablampe im Tagebuch ihres Vaters.
«9. Rildar. Ich kann mich nicht mehr konzentrieren im Geschäft. Alles, woran ich denken kann, ist meine große Mission. Die Visionen werden jede Nacht stärker. Die Gesichter werden deutlicher. Etwas wird geschehen, und ich bin der Einzige, der es verhindern kann. Ich muss es verhindern. Ich weiß nicht, wie. Ich weiß nicht, wann. Doch ich habe keine andere Wahl …
14. Rildar. Sie haben mich gefeuert. Mona versteht nicht, was mit mir passiert ist. Ich kann es ihr nicht erklären. Da ist etwas tief in mir drin; eine Stimme,
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