Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition)
flüsterte sie, als sie die unterste Stufe der Treppe erreicht hatten. Doch es war bereits zu spät. Schräg über ihnen war ein kratzendes Geräusch zu hören, als wenn sich zwei Mühlsteine aneinander reiben. Die Jugendlichen glaubten, ihnen müsste das Herz stillstehen.
«Die Tür!», rief Ephrion entsetzt. Ehe sie Zeit hatten, etwas dagegen zu unternehmen, verschloss sich die Einstiegsluke zur Bibliothek wie von Geisterhand bewegt. Sie saßen in der Falle.
Eingeschüchtert blieben die vier Jugendlichen neben der Treppe stehen und sahen sich suchend in der mit Fackeln beleuchteten Kammer um. Und dann trat jemand aus dem Schatten neben dem Kamin hervor, und die Teenager erstarrten augenblicklich. Katara spürte, wie ihre Knie weich wurden, als sie ihn sah.
«Drakar», hauchte sie.
50
Majestätisch stand der junge König vor ihnen, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, die Schultern gestrafft, das Kinn vorgestreckt. Die Jugendlichen wichen instinktiv zurück. Drakars Anwesenheit saugte ihnen sämtlichen Mumm aus den Knochen. Er war nicht besonders groß, noch war er sehr kräftig. Doch sein Gesichtsausdruck war so kalt, dass er selbst dampfendes Wasser in Eis verwandelt hätte.
Ephrion merkte, wie ihm schwindlig wurde. So viele Jahre hatte er sich gewünscht, eines Tages auf dem Ehrenplatz zur Linken Drakars zu sitzen, um von ihm vor allen Bürgern von Dark City geehrt zu werden. Jetzt ekelte er sich vor seinem eigenen törichten Wunsch.
Aliyah wurde es eisig kalt. Drakars Gegenwart entriss ihr sämtliche Wärme. Miro war Drakar noch nie persönlich begegnet, doch sein Vater hatte ihn immer als einen Gentleman beschrieben, einen Mann voller Güte und Freundlichkeit, der nur das Beste für sein Volk wollte. Doch von Güte und Freundlichkeit war wenig zu sehen in Drakars kleinen Schlangenaugen. Und seine Stimme, obwohl sie sanft und fein klang wie die eines jungen Knaben, hatte die Schärfe eines Messers.
«Seht an, seht an», sagte er. «Ich wusste, dass sich das Warten lohnt. Habe ich es nicht gesagt, Goran?» Ein zweiter Mann tauchte neben dem König auf, und Katara wäre am liebsten im Boden versunken.
«Vater?!»
Ihr Vater stand beim Kamin, ein Schwert an seiner linken Hüfte hängend, die Hand an dessen Knauf gelegt, und sah seine Tochter streng, aber liebevoll an.
«Meine kleine Feuerblume. Was hast du nur getan?»
«Vater, ich …» Katara zitterte.
«Ich habe mich zu Tode geängstigt», sagte ihr Vater, ohne auf das Mädchen zuzugehen. «Wir haben die ganze Burg nach dir abgesucht.»
Katara öffnete den Mund und brachte keinen vernünftigen Satz zustande. «Ich … es ist nicht so, wie du denkst, Vater … Wir sollten …»
«Die alte Schwarze hat euch hergeschickt, nicht wahr?»
Katara zuckte kaum merklich zusammen. «Woher … woher weißt du …?»
Goran seufzte tief und wirkte auf einmal sehr ernst. «Also ist es wahr», murmelte er, und ein Hauch von Traurigkeit schwang in seiner Stimme mit. «Ich hoffte, Drakar würde sich täuschen. ‹Nicht meine Tochter›, sagte ich ihm. ‹Meine Tochter verbündet sich nicht mit … einer Hexe!›» Er sprach das Wort voller Abscheu aus und blickte seine Tochter dabei mit solcher Strenge an, dass sie innerlich erschauerte. Die Härte in seinen Augen ließ keinen Zweifel offen, dass er sie diesmal wirklich in den Turm sperren würde, und bestimmt nicht nur für eine Nacht.
«Bitte, Vater, lass mich erklären.»
Das Gesicht ihres Vaters war von Enttäuschung gezeichnet. «Du weißt, ich würde dich nie belügen, Katara. Ich sagte dir, die Hexen sind gefährlich, und das sind sie wirklich, meine Tochter. Mit ihnen ist nicht zu spaßen. Sie sind falsch und hinterhältig. Sie wissen, wie sie Menschen manipulieren können. Erinnerst du dich nicht mehr an unser Gespräch und wie ich dir sagte, Isabella wäre eine Nummer zu groß für dich? Erinnerst du dich daran?»
«Ja, Vater», murmelte Katara.
«Katara, Katara, was habt Ihr Euch bloß dabei gedacht?», fragte Drakar und tat einen Schritt in ihre Richtung, «Ihr wisst nicht, mit wem Ihr Euch eingelassen habt. Wie konntet Ihr nur so blind sein und dieser Hexe Glauben schenken?»
Katara schluckte.
«Womit hat Euch die Alte das Gehirn gewaschen? Womit hat sie Euch gelockt, damit Ihr in Euer eigenes Zuhause einbrecht wie ein Dieb? Seht Ihr nicht, wie absurd das alles ist?»
Katara schwieg betreten.
«Hat Euer Vater Euch nicht immer und immer wieder vor den Hexen gewarnt? Hat er Euch nicht
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