Dark City - Das Buch der Prophetie (German Edition)
einfach aufgefressen. Lautlos und ohne Vorwarnung. Das Kostbarste, was es gibt, hat er mit seinem riesigen Rachen verschlungen. Es war grauenhaft. Ich kann es nicht in Worte fassen.»
Die Siebzehnjährige hörte ihm fasziniert zu, während sie nebeneinander den Hügel hochritten. Sie erreichten eine kleine Kuppe, die baumfrei war, stiegen von den Pferden und ließen sie zwischen dem Moos nach Gräsern suchen, während sie sich einen Steinwurf weit weg auf einen Baumstumpf setzten und ein paar Schlucke Wasser aus ihren Schläuchen tranken.
«Von hier oben aus hatte man eine herrliche Aussicht über die ganze Stadt», sagte der Vater. «An schönen Tagen konnte man sogar das Ysah-Gebirge sehen und weit im Osten einen Teil der Mauer. Ich vermisse diese Weite, die klare Luft, den Duft vom zarten Grün der Bäume.»
Katara sagte nichts. Sie starrte in den Nebel hinein und versuchte sich vorzustellen, wie die Landschaft wohl ohne Nebel ausgesehen haben mochte.
«Ich weiß, du kannst das alles schwer nachvollziehen», sagte Goran und reichte seiner Tochter den Wasserschlauch. «Du kannst nicht verstehen, was es bedeutet, des Lichtes beraubt zu werden. Du hast die Sonne nie gesehen. Du weißt nicht, wie ihr Licht auf der Haut kitzelt, wenn ein verirrter Sonnenstrahl dich am Morgen aufweckt. Du weißt nicht, wie ihre Wärme wohltut nach einer kalten Nacht. Du weißt nicht, wie es aussieht, wenn sie blutrot hinter den Felsen verschwindet und die Landschaft in ein geheimnisvolles Licht taucht, oder wie das Wasser im Sonnenschein glitzert wie hunderttausend funkelnde Diamanten. Das weißt du alles nicht, und deshalb kannst du nicht verstehen, was du verloren hast.»
Damit mochte er wohl Recht haben. Katara hatte die Sonne tatsächlich noch nie gesehen – wie auch sonst keiner, der nach der großen Nebelkatastrophe zur Welt gekommen war. Vieles hatte sich geändert, seit der Nebel gekommen war.
«Erzähl mir mehr von der Sonne, Vater», bat ihn das Mädchen, während sie einen Schluck Wasser trank. «War sie groß?»
«Riesengroß. Und das ist sie noch immer. Wir können sie wegen des Nebels nur nicht mehr sehen. Aber sie ist da. Irgendwo da oben strahlt sie hell, wie sie es immer getan hat.» Er schaute nach oben, und Katara folgte seinem Blick. «Sie sieht aus wie ein weißer runder Feuerball, der weit über den höchsten Bergspitzen am Himmel hängt. Ihr Licht ist so grell, dass du erblindest, wenn du zu lange in sie hineinschaust.»
«Wirklich?» Katara lauschte den Ausführungen ihres Vaters gebannt.
«Ja. Ihr Licht ist stärker als alles, was du kennst. Deine Augen haben sich schon so sehr an diese diffuse Dämmerstimmung gewöhnt, die wir heute als Tag bezeichnen. Ich glaube, du würdest das Sonnenlicht nicht einmal ertragen. So stark ist es.» Er seufzte. Es war ein langes, bekümmertes Seufzen. «Und alles, was uns geblieben ist, ist diese grässliche Dunkelheit, die einen manchmal um den Verstand bringen könnte. Ich vermisse das Licht der Sonne. Das tue ich wirklich.»
«Aber wir haben ja Licht», wandte Katara ein. «Wir haben Kerzen, Fackeln und vor allem Veolicht.»
«Veolicht. Das ist wahr. Ohne Drakars Erfindung hätten wir die Nebelkatastrophe kaum überlebt.» Goran schüttelte gedankenversunken den Kopf. «Trotzdem. Ich wünschte, der Fluch würde endlich gebrochen. Vielleicht wird der Nebel weichen, wenn wir die höchste aller Hexen auf dem Scheiterhaufen verbrennen. Wer weiß.»
Katara kratzte mit ihren Fingernägeln an der Rinde des Baumstumpfs herum und murmelte: «Dafür müssten wir sie erst einmal zu fassen kriegen.»
Ihr Vater drehte sich ihr zu. «Und genau deswegen wollte ich heute mit dir reden, Katara.»
Das Mädchen horchte auf. Der schwarze Ritter lächelte, und seine Brust wölbte sich, als er seiner Tochter feierlich verkündete:
«Wir haben Isabella gestern Nacht gefangen genommen.»
5
«Wie bitte?! Ihr habt Isabella gefangen? Du meinst die Isabella?!»
Katara war ganz außer sich von dieser umwerfenden Nachricht. Isabella war als eine der gefährlichsten Hexen aller Zeiten bekannt. Es wurde gemunkelt, ihre Zauberkräfte wären tausendmal gefährlicher als der Biss einer Kobra.
«Ja, meine kleine Feuerblume. Es ist uns gelungen, sie in der Bärengrotte in einen Hinterhalt zu locken. Wir haben sie. Sie sitzt zur Zeit im tiefsten Kerker und wartet auf die Verurteilung. Du bist die Erste, die es erfährt. Ich wollte es dir persönlich sagen.»
«Ich … ich weiß nicht, was
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