dark destiny
gehetzt, als wäre ein ganzes Regiment hinter ihr her. Sie hatte seinen Arbeitsplatz bisher noch nie aufgesucht - zu viele Gründe verboten es. Jetzt schien all das bedeutungslos.
Neel sah sich hektisch um. Außer ihm war kaum jemand im Sägewerk, es war noch früh, der Himmel erst seit Kurzem verdunkelt. Nur der Vorarbeiter und zwei Männer hielten sich in der Halle auf. Neel gab Joy ein Zeichen, sich zu ducken, damit die Percents sie nicht entdeckten, und zog sie hinter eine der Sägemaschinen.
»Was ist passiert?«
Sie keuchte, als wäre sie kilometerweit gerannt. Als sie endlich sprach, konnte er sie kaum verstehen. Das Pumpen und Ächzen der Maschine und das permanente Quietschen, mit dem das Sägeblatt sich im Leerlauf drehte, verschluckten ihre Worte.
»Joy! Lauter!«
Sie schrie gegen den Krach an. Immer noch verstand er nur einzelne Worte, die zunächst keinen Sinn ergaben. Langsam schälte sich der Grund ihrer Aufregung aus dem Chaos.
Die Rebellen griffen die Waffenlager an.
Amber, das Geistermädchen, hatte gewusst, wo sie lagen.
Er wollte es nicht glauben und zugleich begriff er, dass alles so unfassbar vorhersehbar gewesen wäre, wenn er die Anzeichen richtig gedeutet hätte.
Ein Mädchen war zum Gespenst geworden, ein Gespenst, das kaum jemand sah und hörte. Ein Gespenst vergisst man. Aber es sieht und hört alles. Es wartet auf den Moment, in dem man schläft, um einen heimzusuchen. Und er, er war so ein Idiot, hatte nicht an Gespenster geglaubt.
Für einen Moment fühlten sich seine Knochen an wie morsches Holz und seine Muskeln wie totes Fleisch. Er wäre fast in die Knie gesunken, als ihm klar wurde, dass er Schuld an dieser Bedrohung trug. Er hatte Amber freigelassen.
Neel musste ein paar Mal durchatmen, sich mit seinem Blick an Joy festhalten, die trotz aller Unruhe fest auf ihren Füßen stand, die Fäuste geballt, wie jederzeit zum Schlag bereit.
Hatte er einen Fehler gemacht?
Ein Leben zu zerstören, nur weil es eine potenzielle Gefahr darstellte, war nicht richtig. Aber ein Leben zu retten, wenn man damit hundert andere aufs Spiel setzte - Joys Leben und Edisons Leben -, konnte ebenfalls nicht richtig sein.
Gab es für ihn noch Entscheidungen, die nicht mit der unausweichlichen Konsequenz des späteren Bereuens einhergingen? Neel beschloss in diesem Moment, so etwas nie wieder vom Leben zu erwarten.
»Was sollen wir denn jetzt machen?« Einen Augenblick wirkte Joy nicht mehr stark und kampfbereit, sondern zerrissen. Was konnte sie auch tun? Eine Waffe nehmen und jene zurückschlagen, bei denen sie aufgewachsen war? Oder eine Waffe nehmen und mit ihnen kämpfen, bis sie schließlich ihm gegenüberstand?
Er hätte sich einen Arm abgehackt für die Möglichkeit, Joy aus der Schusslinie zu bekommen, doch er wusste um die Ausweglosigkeit dieser Pläne. Er selbst hatte sie zu einer gnadenlosen Soldatin gemacht. Sie würde nicht fliehen, nicht ohne ihn, das passte nicht zu ihr.
Und ebenso wenig passte es zu ihm, es nicht wenigstens zu versuchen. »Für dich gibt es hier nichts mehr zu tun, Joy. Verschwinde, am besten sofort.« Er dachte mit solcher Intensität an das Meer, dass er hoffte, sie würde den Gedanken aufnehmen, aber das ließ sie nicht zu.
»Auf keinen Fall. Ich sammele Valeria und Killian ein und meinen Vater, wenn er es schafft. Ich verstecke sie an irgendeinem sicheren Ort.«
»Ich weiß nicht, wie lange es noch einen sicheren Ort in der Stadt gibt.«
Sie schluckte. »So übel?«
»Keine Ahnung.« Das war nur die halbe Wahrheit. Neel hatte eine vage Vorstellung davon, wie groß die Waffenlager waren. Beim letzten Angriff auf die Stadt war er noch nicht geboren, aber er kannte die Geschichten. Brachen die Rebellen erst durch die Verteidigungslinie, floss Blut auf den Straßen.
»Vielleicht können wir das Schlimmste verhindern.« Er küsste Joy hart auf den Mund. »Geh und warne deinen Vater und die Kinder. Ich rede mit Cloud.«
Joys Gesicht wurde zu einer Maske aus Zweifel, aber er küsste sie noch einmal und nahm ihr damit die Widerworte.
»Ich bin vorsichtig. Wir sehen uns beim Haus deines Vaters, ich komme dorthin, so schnell es geht. Aber erst warne ich Cloud. Wir müssen die Waffenlager schützen und die Rebellen so um ihren Vorteil bringen. Wir schlagen die Vorhut zurück. Die anderen werden einsehen, dass ein Angriff ohne unsere Waffen zwecklos ist. Sie werden nach Hause gehen und alles wird wieder gut.«
»So gut wie bisher«, erwiderte Joy.
Sie saß
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