Dark Future: Herz aus Eis
zuckte er mit den Achseln. »Warum hast du sie gehen lassen?«
»Sie gehört nicht mir, also habe ich nicht das Recht, sie zurückzuhalten«, erwiderte Wizard. Seine Worte klangen hohl, selbst in seinen Ohren. Er hatte nicht das Recht, sie zurückzuhalten. Doch vielleicht hätte er das Recht, sie zu … zu was? Sie zu lieben? Mit ihr zu lachen? Etwas für sie zu empfinden?
Er hätte einen Weg finden müssen, um sie zu halten, um sie zu beschützen. Das war das Problem. Er hatte wieder versagt. Hatte bei Raina versagt, wie er bei Tatiana versagt hatte, seiner kleinen Schwester, die ihm vertraut hatte und die zu schlecht vorbereitet gewesen war, um die behütete Welt des Labors, das ihr Zuhause gewesen war, zu verlassen. Er war nicht bei ihr geblieben, hatte sie nicht behütet, und sie hatte mit ihrem Leben für sein Versagen bezahlt. War das auch das Schicksal, das Raina Bowen erwartete?
Er hatte vorgehabt, ihr zu folgen, für ihre Sicherheit zu sorgen, aber an dem Tag, als sie das Camp verlassen hatte, waren sie wieder angegriffen worden. Hin- und hergerissen zwischen widersprüchlichen Zugehörigkeitsgefühlen, hatte er die Situation nüchtern eingeschätzt und die Wahrscheinlichkeiten berechnet. Die korrekte Entscheidung war es gewesen, im Rebellen-Camp zu bleiben, doch zum ersten Mal in seinem Leben hatte er den Wunsch verspürt, die Alternative zu wählen und auf sein Herz zu hören.
Yuriko hatte angemerkt, dass Raina seine Einmischung nicht gutheißen würde – und dass sie sie genau genommen in Gefahr bringen würde. Wenn Raina sich darauf konzentrierte, ihn loszuwerden, hatte Yuriko ihm erklärt, würde sie vielleicht eine Bedrohung übersehen und sich nicht selbst schützen können. Diese Möglichkeit war inakzeptabel gewesen. Und wenn Bane mitbekommen hätte, dass Wizard das Camp verließ, hätte er gewusst, dass Raina auch gegangen war. Wizards gute Absichten hätten also leicht eine gegenteilige Wirkung haben können.
Nein, dachte er unnachgiebig.
Gib wenigstens die Wahrheit zu.
Er hatte Angst gehabt, ihr nachzulaufen, hatte Angst gehabt, von ihr abgewiesen, abgelehnt zu werden. Er hatte Angst gehabt, dass sie ihm nicht vergeben würde. Das war die hässliche Wahrheit, der er ins Gesicht sehen musste.
Wieder hatte sie ihn spüren lassen, was Angst war, eine Panik der anderen Art.
Er wollte sich seiner Reue nicht stellen, also schob er diese Gedanken erst einmal beiseite und konzentrierte sich auf Ben. »Wenn du dich umdrehst, visualisiere dein Ziel, noch ehe du die Arme zum Schuss hochnimmst.« Er legte die Fingerspitzen auf den Lauf von Bens Plasmapistole und drückte die Waffe herunter. »Noch mal.«
»Wir üben das jetzt schon seit zwei Stunden. Ich habe Hunger. Du bringst nie etwas zu essen mit«, beklagte sich Ben. Er befolgte Wizards Anweisungen trotzdem und brachte sich für den nächsten Schuss in Position. Sie hatten jeden Tag miteinander trainiert, und Ben war entschlossen, die Waffe zu beherrschen und zu lernen, wie er seine Freunde beschützen konnte. »Bei dir sieht alles so leicht aus«, brummte er. »Als müsstest du überhaupt nicht darüber nachdenken.«
Wizard schüttelte den Kopf. »Das tue ich auch nicht.« Wenn er es sich erlaubte zu denken, tauchten in seinem Kopf Bilder von Raina auf, und er empfand bitteres Bedauern. Diese Empfindung war neu für ihn. Ungewohnt. Unangenehm. Und dieses Gefühl leckte aus dem Fach, das er ihm zugewiesen hatte, und tränkte jeden seiner Gedanken.
Selbst der Verlust von Tatiana hatte seine Selbstbeherrschung nicht in diesem Maße zerfressen.
»Das hat Raina auch gesagt, als sie mir gezeigt hat, wie man ein Messer wirft. Sie sagte, sie müsse nicht darüber nachdenken, wie …« Ben unterbrach sich und starrte auf einen Punkt hinter Wizards Schulter.
Wizard drehte sich um und erblickte Yuriko, die über das Gelände auf sie zukam. Ihre Miene wirkte entschieden, ihre Schritte waren kurz und entschlossen. Bei ihrem Anblick spürte er einen kalten Schauer, der ihm über den Rücken rieselte. Diese Empfindung verstärkte sich immer weiter, bis er bemerkte, dass es dieselbe Art von schleichender Angst war, die ihn überkommen hatte, als die Eispiraten das Camp angegriffen hatten. Er hatte Angst gehabt, dass Raina etwas passierte, dass sie vielleicht sogar getötet wurde. Seine Angst hatte nichts damit zu tun gehabt, dass er befürchtete, den Köder zu verlieren, um Duncan Bane hervorzulocken, sondern nur damit, dass er um die Sicherheit der
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