Dark Future: Herz aus Eis

dass sie durchs Ödland ziehen und Erfrierungen erleiden und sich die eigenen Finger abhacken müssen. Ich liefere keine Waffen an Mörder aus – egal, wie sehr ich die verfluchte Belohnung haben will.«
    Ihre Stimme war mit jedem Wort lauter geworden, und sie war angewidert von diesem Kontrollverlust. Sam hätte sie bewusstlos geschlagen, wenn er das mitbekommen hätte. Mit übermenschlicher Anstrengung riss sie sich zusammen, ballte die Hände zu Fäusten und wünschte sich, dass es nicht so dunkel gewesen wäre und dass sie Wizard hätte sehen können. Dass er sie hätte sehen können, dass sie ihn in ihrem Blick hätte lesen lassen können, was genau sie über ihn dachte. Dass sie ihm einen Dämpfer hätte verpassen, dass sie seine unerschütterliche Beherrschung ins Wanken hätte bringen können. Die Wahrheit war, dass sie einen Streit wollte, ein Ventil für ihre Enttäuschung. Aber er sprang einfach nicht auf ihren Köder an.
    Verflucht noch mal.
    Im Dunkeln wandte sie sich ihm zu und erhob die Faust. Dann streckte sie den Mittelfinger aus und machte die derbste Geste, die ihr einfiel. Nicht sehr erwachsen, doch anschließend fühlte sie sich eine Spur besser.
    Ein ersticktes Husten drang an ihr Ohr. Vielleicht war es auch ein unterdrücktes Lachen. Wenn es ein Lachen war, klang es eingerostet, unerwartet.
    »Ich … äh … Ich kann im Dunkeln sehen«, bemerkte Wizard.
    Okay. Eindeutig ein Lachen.
Raina zuckte mit den Achseln und gab ihrem Instinkt nach. Sie hob auch noch die andere Hand und wiederholte die Geste beidhändig.
    Und als er dieses Mal ein prustendes Lachen ausstieß, lachte sie mit und ließ die Anspannung der letzten Minuten entweichen. Sie merkte kaum, dass er schweigend neben ihr saß, während sie sich den Bauch hielt und lachte, bis ihre seltsame Euphorie mit einem Mal wieder verschwunden war.
    »Besser?«, fragte er, und seine Stimme klang knapp und angespannt.
    »Ja.« Sie ließ zu, dass die Stille sich um sie herum niederließ und sie in ihren kargen Kokon einschloss. Wenn sie sich ganz fest konzentrierte, glaubte sie, ihn atmen hören zu können, aber nicht einmal dann war sie sich sicher.
    Sie hatte Angst gehabt. Das war die hässliche Wahrheit. Die Erinnerung an Sams Ermordung noch frisch im Gedächtnis, hatte sie Angst vor den verdammten Plünderern gehabt, Angst, dass sie sie schnappten. Sie töteten. Und noch mehr Angst hatte sie davor gehabt, was sie ihr antaten, bevor sie ihr schließlich die Kehle durchschnitten. Sie umklammerte die Armlehnen des Sitzes und fragte sich, ob Wizard ihr abgehacktes Ringen nach Luft gehört hatte, das Pochen ihres Herzens, als sie sich den verdammten Piraten gegenübergesehen hatte.
    »Hey, Wizard«, sagte sie. »Hast du eigentlich …« Sie räusperte sich. »Hast du eigentlich jemals Angst?« Warum hatte sie diese Frage gestellt? Sie wünschte sich, sie könnte die Worte zurücknehmen.
    »Nein.« Wizards ruhige Stimme durchschnitt die Dunkelheit.
    »Niemals?«
    »Niemals.«
    Nachdem sie nun schon mal ins Wespennest gestochen hatte, konnte sie vermutlich auch weitermachen. »Also hast du noch nie Panik, Entsetzen oder Schrecken empfunden?«
    »Nein.«
    »Echt nicht?«
    »Emotionen, wie du sie beschreibst, sind mir … fremd.«
    »Was bist du? Eine Maschine?«
    Einen Moment lang zögerte er, und sie rechnete beinahe damit, dass er ja sagen und ihr erklären würde, dass er ein Roboter sei. »Ich bin ein Söldner. Auf einer Mission ist kein Platz für Angst. Ich habe einen Auftrag zu erledigen, also erledige ich den Auftrag.« Seine Stimme klang ungerührt.
    »Ich dachte, du wärst ein Auftragskiller für das Neue Kommando.«
    Wieder zögerte er, ehe er sprach. »Das war ich. Und jetzt bin ich es nicht mehr.«
    »Für wen arbeitest du jetzt?«
    »Für den, der am meisten bietet.«
    Tja, das beschönigte nichts. »Keine Entschuldigungen, keine Reue, was? Also, wer ist im Moment der, der am meisten bietet?« Raina war froh über die Chance, ihn ausfragen zu können, und darüber, dass sie ihre Gedanken mit etwas anderem als mit ihrer eigenen Angst beschäftigen konnte.
    »Meinen laufenden Vertrag habe ich mit dem Siedlerrat des Nördlichen Ödlands. Ich bin angeheuert worden, ihre Truppen zu überwachen und auszubilden.«
    Sie stieß die Luft aus. Der Siedlerrat des Nördlichen Ödlands war ein beschönigender Ausdruck für die Rebellen, die mit Waffengewalt gegen das Neue Kommando kämpften. Der Siedlerrat war ein lockerer Zusammenschluss