Dark Future: Herz aus Feuer
auch einfach nur bemerkt, dass Tatiana ihre überschwengliche Umarmung nicht erwiderte.
»Es tut mir leid.« Lamia lachte und hob die Hand, um ihr Haar hinters rechte Ohr zu schieben. »Es tut mir leid. Ich freue mich nur so über die Gesellschaft. Ich will alle Neuigkeiten hören, die dir so einfallen. Jeden Klatsch und Tratsch. Wo warst du zuletzt? Was machst du gern? Hast du Hobbys? Ich zappe zum Beispiel gern zwischen Satellitenprogrammen hin und her und führe die Ausschnitte dann in Holo-Videos zusammen. Hast du Mikrodisks mit? Ich habe meine so satt. Vielleicht können wir tauschen …«
Tatiana warf Tristan einen verzweifelten Blick zu und stellte fest, dass er Lamia anstarrte, als hätte sie einen zweiten Kopf.
»Normalerweise ist sie nicht so«, erklärte er und war offensichtlich verwirrt. »Sie ist normalerweise …«
»Ruhig und tüchtig«, unterbrach Lamia ihn. »Aber das liegt nur daran, dass niemand da ist, mit dem ich
reden
könnte.«
Sie machte einen Schritt nach vorn, streckte dann den Arm aus, als wollte sie sich bei Tatiana unterhaken, hielt inne und runzelte die Stirn. »Du wirst nicht gern berührt, oder?«
Nein, das wurde sie nicht. Allerdings schien ihr das nichts ausgemacht zu haben, als Tristan sie berührt hatte, und dafür hatte sie keine Erklärung.
Tatiana machte den Mund auf, schloss ihn wieder und sammelte ihre Gedanken, als Lamia zögerlich ihren Arm zurückzog. Sie hatte Studien über Frauenfreundschaften gelesen und wusste, dass es so etwas wie »Bonding« gab, dass Frauen eine Art Verbindung miteinander eingingen. Doch das hatte sie selbst noch nie erlebt. Sie wollte die Gefühle dieses Kindes nicht verletzen, aber sie wollte auch eine Grenze setzen.
Kind.
Warum betrachtete sie Lamia als ein Kind? Sie schien nur ein wenig jünger zu sein als Tatiana selbst.
»Ich … äh …« Wieder warf sie Tristan einen Blick zu. Er sah sie mit belustigter Miene an. »Ich bin Tatiana. Ich habe keine Mikrodisks. Ich mag es, zu …« Kämpfen. Trainieren. Nein, das
mochte
sie nicht. Sie tat diese Dinge, weil sie sie tun musste. Was mochte sie? Ihr Blick fiel auf Tristans Mund. »Ich … äh … ich …« Sie wandte die Augen ab. »Zuletzt war ich in Liskeard und Port Uranium. Was Klatsch und Tratsch und Neuigkeiten angeht …«
Ich habe vor Abbotts Laden einem Mann die Hand abgeschnitten.
»Ich habe gehört, dass die Angriffe durch Plünderer im Alberta Corridor zunehmen und dass die Station in Dorje fast überrannt ist …«
Ihre Stimme erstarb. Tristan und Lamia starrten sie an.
»Ich dachte eher an Klatsch über die letzten Heldentaten von
Acid Tongue
oder vielleicht etwas über ihre neue Underground-Veröffentlichung.« Lamia lachte. »Du weißt schon, etwas, das man nicht dauernd auf Breitband in den Nachrichten hört.«
Acid Tongue?
Tatiana fixierte Tristan, flehte ihn stumm an, es zu erklären, doch er zuckte nur mit den Schultern und wandte den Blick ab.
»Ist ja auch egal«, sagte Lamia. »Komm. Es gibt Sim-Steak, Kartoffelbrei und Möhrensalat zum Abendessen. Ich wette, du hast Hunger. Wie lange bleibst du?«
»Ich …«
»Solange sie mein Gast ist«, unterbrach Tristan harsch, »ist Ana eine von uns.«
Die Worte hätten beruhigend klingen sollen und einladend, aber das taten sie nicht. Etwas an seinem Tonfall, zusammen mit dem erschrockenen Blick, den Lamia ihm zuwarf, sagte Tatiana, dass es etwas gab, etwas Düsteres, das sie nicht verstand.
»Wann?«, flüsterte Lamia.
»Während der Auseinandersetzung draußen«, erwiderte Tristan.
Mit einem scharfen Atemzug wich Lamia zurück. Sie riss die Augen auf und hob die Hände zu einer unbewussten, abwehrenden Geste, ehe sie sich und ihre Miene wieder unter Kontrolle hatte.
Definitiv schwingt hier etwas Düsteres mit,
dachte Tatiana. Noch eine komplizierte Wendung in dem Labyrinth, in das sie geraten war.
Es schien, als wäre das, was auch immer während der »Auseinandersetzung draußen« passiert war, nicht gut. Meinte Tristan den Tod des Mannes auf dem Eis? Wahrscheinlich.
»Möhrensalat, ja?«, sagte Tatiana und zwang sich zu einem lockeren Tonfall. »Handelt ihr um euer Gemüse, oder baut ihr es selbst an?«
Die harmlose Frage hatte nicht die erhoffte Wirkung, im Gegenteil. Statt Lamias Anspannung zu lösen, wurde sie noch verschlossener als der Eingang zum Bau eines Polarfuchses.
Lamias Blick ging von Tatiana zu Tristan, und ihr Mund, den sie unsicher zu einem kleinen O verzogen hatte, blieb offen
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