Dark Heart: Zweiter Band
Lilith.
Der Mann nickte mir zu und ich grüßte knapp zurück.
Neben Bolivar stand ein Nachtgeschöpf, das so schön war, dass mir der Atem stockte. Sein Haar war pechschwarz, die Gesichtszüge scharf geschnitten und ebenmäßig, die Augen schmal, leicht schräg gestellt. Er war fein und schmalgliedrig, wirkte aber trotzdem sehr männlich.
»Kamehameha, König von Pazifisch-Ozeanien.«
Als er mich anlächelte, wurde mir zum zweiten Mal ganz schummrig.
Vor der Wandtafel stand ein arabischer Vampir und betrachtete die Ausdrucke des Voynich-Manuskripts. Er legte die Hand auf die Brust und verneigte sich.
»Amir Al-Gul, Malik von Saba.«
»Es ist mir eine Ehre und eine Freude, Sie kennenzulernen, Lydia.«
Ich verneigte mich ebenfalls.
»Sie haben eine schöne Enkelin, Banu Kinequon«, sagte Amir und strahlte wie jemand, der in der Wüste eine Blume entdeckt hat.
»Nun, Malik, wie Sie sehen, liegt die Schönheit bei uns in der Familie«, konterte Grandma mit einem spöttischen Lächeln, worauf Amir ihr, ganz Gentleman, einen Handkuss gab.
»Und das ist Guy de Montmorency-Laval.«
Guys schmales Gesicht wirkte fast spitz, das nackenlange, brünette Haar war leicht gewellt und zu seinem hellblauen Hemd trug er ein seidenes bordeauxrotes Halstuch mit Paisleymuster.
»Enchanté«, sagte er nur knapp und widmete sich dann wieder einer Karte von Westkanada, die ausgebreitet vor ihm auf dem Schreibtisch lag. Ich konnte sehen, dass eine Stelle rot markiert war. Obwohl die Karte von mir aus gesehen auf dem Kopf stand, konnte ich den Namen des Ortes lesen, der den Fürsten so brennend zu interessieren schien: Telegraph Creek.
»Möchtest du dich setzen?«, fragte Lilith und deutete auf einen zweiten Sessel neben dem meiner Großmutter.
Ich schüttelte den Kopf. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass der Rat schon einen Plan gefasst hatte und ich eine wichtige Rolle darin spielte. In diesem Fall wollte ich den Fürsten auf Augenhöhe begegnen.
»Sie haben die Nachrichten der letzten Tage verfolgt?«, fragte mich Amir Al-Gul.
»Wenn Sie die Anschläge in Schanghai und Abidjan meinen, ja. Darüber bin ich informiert.«
»Und Sie wissen auch, mit welchem Ziel sie verübt wurden?«, fragte Guy de Montmorency-Laval.
»Zwei der Toten waren Mitglieder dieses Rates«, sagte ich.
»M s Garner, wie vertraut sind Sie mit dem Voynich-Manuskript?«, fragte nun Javier de Bolivar.
»Ich weiß nur, dass die Handschrift in einer fremden Sprache und einer unbekannten Schrift verfasst wurde. Entschuldigung, aber Sie haben mich doch bestimmt nicht herkommen lassen, um mir Fragen zu stellen, auf die Sie die Antworten längst kennen!«
Javier lachte laut. »Du hast Recht, Lilith. Sie ist wirklich etwas Besonderes!«
»Wir wollen offen zu Ihnen sein«, sagte Amir Al-Gul und holte tief Luft. »Charles Solomon möchte den Rat der Nachtgeschöpfe auslöschen. Und so wie es aussieht, wird er damit über kurz oder lang Erfolg haben.«
»Aber wie kann das sein?«, fragte ich. »Sie alle hier sind doch mächtige Nachtgeschöpfe. Hunderte, wenn nicht Tausende von Vampiren müssen Ihnen gehorchen! Die Wächter stehen auf Ihrer Seite!«
»Und dennoch reichen unsere vereinten Kräfte nicht aus«, sagte Grandma. »Der Angriff auf die Königin war hervorragend vorbereitet. Solomon arbeitet schon seit Langem mit Miltons Übersetzung des Voynich-Manuskriptes.«
»Mindestens fünfzig Jahre. So lange hat es gedauert, bis er Keren Demahigan wiederauferstehen lassen konnte«, sagte Lilith. »Wir wissen nicht, wie groß seine Gefolgschaft ist, aber Solomon hatte Zeit genug, um sich auf die Machtübernahme vorzubereiten.«
Bolivar hob die Kopie der Übersetzung in die Höhe. »Wir haben uns eingehend mit dieser Abhandlung beschäftigt.« Er ließ die Blätter wieder auf den Schreibtisch fallen. »Sie beschreibt in allen Einzelheiten, wie ein Mensch nach und nach die Eigenschaften eines Nachtgeschöpfes annehmen kann, ohne dass er dabei seine menschlichen Fähigkeiten verliert, also tagaktiv und unempfindlich gegen Silber bleibt. Dieser Mensch wird ein Mensch bleiben, aber übergroße Körperkraft und telepathische Fähigkeiten entwickeln.«
»Diese Verwandlung kann jedoch auch in umgekehrter Richtung vollzogen werden: vom Vampir zum Menschen«, fügte de Montmorency-Laval hinzu. »Das Nachtgeschöpf wird auf diese Weise immer menschenähnlicher, ohne dabei seine Lebensgewohnheiten aufzugeben. Es wird zu einem Tagwandler, mit einer
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