Dark Inside (German Edition)
Schultern.
»Nein, ich bin in Ordnung. Ich …«
»Du musst von hier weg! Sofort! Bevor ich wieder zurückgehe. Ich gehe rein und wieder raus. Mein Gehirn. Die Stimmen. Weißes Rauschen. Sie sind so laut. Ich kann sie nicht aufhalten. Sie sagen mir, was ich tun soll.«
»Wovon redest du da, Sam? Ich kann nicht weg. Meine Eltern sind da drin.«
»Geh. Du musst gehen oder sie werden dich töten. Ich werde dich töten. Wenn es zu stark wird, kann ich es nicht mehr aufhalten.«
»Was? Was wird zu stark?«
»Ich weiß es nicht. Die Stimmen. Das, was in meinem Kopf ist. Es ist real. Es ist in meinem Kopf und kämpft gegen mich an.«
Er stieß sie von sich weg und Clementine musste daran denken, wie ihre Mutter das Gleiche getan hatte. Alle sagten ihr, dass sie weglaufen solle, aber niemand sagte, wohin.
Schüsse peitschten durch die Nacht. Sie kamen aus dem Innern der Gemeindehalle. Jemand schrie gellend.
Alle, die sie kannte, waren in diesem Gebäude.
»Lauf!«, schrie Sam, der ihre Gedanken zu lesen schien. »Du kannst nichts für sie tun. Aber geh nicht nach Hause. Dort werden sie zuerst nach dir suchen.«
»Aber wo soll ich denn hin?«
Plötzlich stürzte Sam auf die Knie, presste die Hände auf die Ohren und begann zu schreien. Sein Gewehr fiel neben ihm auf den Boden und Clementine überlegte, ob sie es an sich nehmen sollte. Doch sie konnte nicht mit Waffen umgehen; das Gewehr würde ihr nichts nützen.
Als Sam den Kopf hob, war sein Blick trüb, und als er sie anstarrte, schien er nicht zu wissen, wer sie war. Bei seinem Sturz hatte er sich auf die Lippe oder in die Wange gebissen. Er lächelte – sie konnte das Blut auf seinen Zähnen sehen. Dann setzte ihr Herz für einen Moment aus.
Sam schien plötzlich jemand anders zu sein.
Clementine beschloss, das zu tun, was man ihr sagte. Sie drehte sich um und lief weg.
MICHAEL
»Ich kann das nicht mehr hören. Schieb Musik rein oder irgendwas anderes. Die Nachrichten nerven.«
Sie waren in Joes Pick-up unterwegs, ohne ein bestimmtes Ziel, einfach nur so. Wie jeden Nachmittag nach Schulschluss. Dieses Ritual hatten sie eingeführt, als beide vor einem Jahr ihren Führerschein gemacht hatten. Michael kurbelte das Fenster herunter und genoss den Wind, der sich in seinen langen braunen Haaren fing.
»Was willst du hören?«
»Mir doch egal. Alles, nur nicht diesen Scheiß da. Wer interessiert sich schon für ein Erdbeben?«
Michael interessierte sich dafür, doch das wollte er nicht zugeben. Außerdem hatte Joe recht, seit Stunden hatte es nichts Neues mehr in den Nachrichten gegeben. Seit gestern Abend die ersten Berichte hereingekommen waren, wurde immer wieder das Gleiche gesendet. Die meisten Informationen wurden in Endlosschleife wiederholt. Niemand schien etwas zu wissen. Er sah die Musik-CDs durch und entschied sich für Green Day, die einzige CD, die noch nicht bis zur Unkenntlichkeit zerkratzt war. Joe ging nicht sehr pfleglich mit seinen Sachen um.
»Hast du schon von der Sache mit Bigfoot gehört?« Das war Joes Spitzname für Mr Petrow, den durchgeknallten Vietnam-Veteranen, der in der Straße wohnte, in der auch ihre Schule lag. Er beschimpfte immer die Teenager, die seinem Rasen zu nahe kamen. Und er hatte eines der wenigen Häuser, die in schöner Regelmäßigkeit mit Toilettenpapier eingewickelt wurden.
»Ja, er ist gestern auf den Briefträger losgegangen oder so ähnlich.«
»Er hat ihm das halbe Ohr abgebissen«, erwidert Joe. »Abgebissen. Und dann hat er noch eine Weile drauf rumgekaut, bis die Polizei ihn mit einem Taser erwischt hat. Das ist doch krank, oder?«
»Was haben sie mit ihm gemacht?«
»Ich habe gehört, dass sie ihn die Klapse gesteckt haben. Das wurde auch langsam Zeit. Und überraschen tut’s mich auch nicht. Der hat doch schon seit Jahren einen an der Klatsche.«
Michael klopfte im Takt der Musik mit seinen Fingern auf die Autotür. Es war ein merkwürdiges Gefühl, als er daran dachte, dass Mr Petrows Haus jetzt leer war. Der Mann hatte sehr zurückgezogen gelebt und sein Grundstück nur selten verlassen, bis auf einen Tag in der Woche – Montag –, an dem er immer bei Safeways einkaufen ging. Er war so etwas wie eine Sehenswürdigkeit im Ort. In Whitefish gab es sonst nicht viel zu sehen.
»Glaubst du, dass sie das Haus verkaufen werden?«, fragte er. »Soweit ich weiß, hat er keine Familie mehr. Ich frage mich, was aus seinen Sachen wird.«
Joe antwortete nicht. Plötzlich bremste er scharf und wich
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