Dark Inside (German Edition)
etwas Ernstes an sich und er konnte sich gut bewegen. Er erinnerte sie an einige der Jungen, die sie aus der Theatergruppe kannte. Wahrscheinlich las er eine Menge ernster Literatur und vielleicht schrieb er auch selbst und konnte Gedichte von Dylan Thomas auswendig aufsagen.
»Ich weiß gar nicht, wie du heißt«, sagte sie schließlich. Es war nicht sehr originell, aber ihr fiel sonst nichts ein, was sie ihn fragen konnte.
»Daniel.«
Es war keine Überraschung. Er sah genau so aus, wie sie sich einen Daniel vorstellte.
»Ich heiße Aries.«
Plötzlich fiel ihr auf, dass außer ihnen niemand mehr da war. Zumindest niemand, der noch am Leben war. Wo war Colin hingerannt? Vermutlich hatte er sich irgendwo verkrochen, aber er wäre sowieso nutzlos, wenn sie ihn gebraucht hätte. Ihr wurde bewusst, wie gefährlich die Situation war, dennoch hatte sie keine Angst. Aus irgendeinem Grund blieb ihr Körper völlig ruhig. Irgendwie sorgte Daniel dafür, dass sie sich sicher fühlte, obwohl ihr bewusst war, dass er selbst auch eine Gefahr sein konnte. Vielleicht lag es daran, dass er sie aus dem Leichenberg gezogen hatte. Er war da gewesen, als sie ihn gebraucht hatte. Er schien sich wirklich um sie zu sorgen.
Bei diesem Gedanken wurde ihr klar, dass es noch andere gab, die sich vermutlich Sorgen um sie machten. Ihre Eltern. Sie griff in ihre Jacke und ihre Finger umklammerten ihr nutzlos gewordenes Mobiltelefon. Versuchten sie jetzt gerade, sie anzurufen? Waren sie verletzt? Was, wenn ihr Haus durch das Erdbeben zerstört worden war?
»Ich sollte nach Hause gehen und herausfinden, wie es meinen Eltern geht«, sagte sie. »Und mit Saras Mutter muss ich auch reden.«
»Wohnst du weit von hier?«
»Etwa acht Kilometer. Ich kann ja laufen.«
»Das schaffst du nicht.«
Sie wich unwillkürlich einen Schritt zurück.
Daniel war schnell. Er hatte sie gepackt, bevor sie sich wehren konnte. Sie hatte nicht einmal Zeit zum Schreien.
»Aries, hör mir zu. Es wird etwas Furchtbares geschehen. Etwas, das noch schlimmer ist als das Erdbeben eben.« Er wies auf die zerstörte Umgebung. »Dagegen wird das hier ein Zuckerschlecken sein. Frag mich nicht, woher ich das weiß. Ich weiß es eben. Wenn du dich jetzt nicht versteckst, bist du morgen früh tot. Nein, vermutlich bist du schon vor Mitternacht tot.«
»Woher weißt du …«
»Habe ich dir nicht gerade gesagt, dass du mich nicht fragen sollst?« Er schüttelte langsam den Kopf. »Viele Menschen werden sterben und das ist erst der Anfang.«
Aus einiger Entfernung waren Schreie zu hören. Daniel erstarrte und Aries drehte sich um, weil sie herausfinden wollte, wo die Schreie herkamen. Die Sonne war jetzt fast völlig im Westen untergegangen. Die Straßen waren dunkel, die Straßenlaternen kaputt. Im Dämmerlicht konnte sie die Umrisse von mehreren Personen erkennen, die über die Straße liefen. Sie waren mehrere Häuserblocks von ihnen entfernt. Wieder angsterfüllte Schreie. Einer der Schatten stolperte und stürzte auf den Asphalt. Die anderen fielen wie rasend über ihn her.
»Da wird jemand überfallen.«
»Dich werden sie auch überfallen.«
»Was? Können wir etwas tun? Sollen wir die Polizei rufen?«
»Die Polizei kann es nicht aufhalten. Niemand kann es aufhalten. Dafür ist es schon zu spät.«
»Aber …«
»Es reicht. Du musst mir vertrauen. Ich weiß, das ist viel verlangt, aber du musst mir glauben. Lass mich dir helfen.«
»Warum?«
»Warum nicht?«
»Das reicht nicht als Grund.«
»Logik hilft dir jetzt auch nicht mehr weiter.«
»Das ist keine Antwort.«
Daniel sah sie wütend an. Dann drehte er sich um, ging ein paar Schritte und kam sofort wieder zurück. »Du machst mich wahnsinnig. Kannst du nicht für eine Sekunde mit Denken aufhören und dir einfach nur von mir helfen lassen?«
»Warum erzählst du mir das alles?«
»Weil ich es jemandem erzählen muss . Ich kann nicht schweigen. Vielleicht bekomme ich keine zweite Chance mehr.«
Aries lag eine scharfe Erwiderung auf der Zunge, doch sie schluckte sie hinunter. Er hatte Angst. Warum war ihr das nicht schon früher aufgefallen? Auch seine geweiteten Pupillen hatte sie bis jetzt gar nicht bemerkt. Sie machten ihr Angst, so viel Angst, dass sie nichts mehr sagen wollte. Hinter ihr schrie wieder jemand, laut und wütend; es klang fast wie Triumphgeheul. Die Angreifer kamen näher. Wie lange würde es dauern, bis sie hier waren? Sie nickte Daniel zu. Sie würde mit ihm gehen, jedenfalls so
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