Dark Inside (German Edition)
Morgen war er noch glücklich gewesen. Tom hatte ihm einen guten Witz erzählt und ihn zum Lachen gebracht. Für das nächste Wochenende war ein Campingausflug zum Chestnut Lake geplant gewesen. Schwimmen, Lagerfeuer, ein bisschen Wandern – alles, was er und seine Freunde gern taten.
Wie hatte sich die Welt nur so schnell ändern können?
Mason wusste, dass er in diesem merkwürdigen Zustand eigentlich nicht fahren sollte, doch das hielt ihn nicht davon ab, den Motor anzulassen und den Rückwärtsgang einzulegen. Während er mit quietschenden Reifen vom Parkplatz raste, setzte er die Sonnenbrille auf, die er vor ein paar Stunden auf den Beifahrersitz gelegt hatte.
Er wollte nicht nach Hause. Stattdessen fuhr er in der Gegend herum, bis er kaum noch Benzin hatte. An der Tankstelle kaufte er sich eine Tüte Chips, die er hinunterschlang, ohne etwas zu schmecken. Nach einem Blick auf die Uhr war er der Meinung, dass er lange genug unterwegs gewesen war, so, wie es ihm der Arzt geraten hatte. Er fuhr wieder ins Krankenhaus, weil er sonst nichts tun konnte.
Die Hand seiner Mutter war so kalt. Ihr Körper lag ganz entspannt da; die meisten der Falten, über die sie sich immer so aufgeregt hatte, waren aus ihrem bewegungslosen Gesicht verschwunden. Ihre Haare lagen wie ein Fächer auf dem Kissen, dunkelbraun wie seine, dick und glänzend, und nur ein paar graue Haare verrieten ihr Alter. Sie war schön, seine Mutter, die Frau, die immer für ihn da gewesen war. Vor zwei Wochen hatte er ihr einen Strauß Rosen zum Geburtstag geschenkt und sie hatte sich so darüber gefreut. Sie waren zusammen essen gewesen, aber die Rechnung hatte seine Mutter bezahlt. Sie hatte nicht zugelassen, dass er sie einlud, weil sie wusste, dass er sein Geld fürs College sparte.
Mason strich ihr sanft über die Wange, bevor er das Laken bis an ihre Schultern zog. Dann machte er das Licht aus und verließ das Krankenhaus.
Draußen war alles ruhig. Die Nachtluft lag kühl auf seinem Gesicht und der Mond war nur eine schmale Sichel am Himmel. Er stieg in sein Auto und stellte überrascht fest, dass das Pförtnerhäuschen am Parkplatz nicht besetzt war und die Schranke offen stand. Er war mehrere Stunden im Krankenhaus gewesen und jetzt waren wohl mindestens zwanzig Dollar Parkgebühren fällig. Aber da niemand da war, um zu kassieren, fuhr er vom Parkplatz, ohne auch nur einen Cent zu bezahlen.
Auf den Straßen waren nicht mehr viele Autos unterwegs. Alle blieben zu Hause, saßen vor dem Fernseher oder hingen am Telefon, weil sie verzweifelt versuchten, Verwandte im Ausland zu erreichen. Hatten sie im Fernsehen nicht gesagt, dass in einigen Ländern das Telefonnetz zusammengebrochen war? Hatten die Erdbeben wirklich so große Schäden angerichtet? Wie viele Leute hielten wohl jetzt gerade den Telefonhörer in der Hand und hörten nur ein Rauschen in der Leitung? Wahrscheinlich versuchten Hunderte oder Tausende, etwas über ihre Angehörigen in Erfahrung zu bringen. Die Glücklichen – sie hatten wenigstens noch Hoffnung.
Im Diefenbaker Park war es dunkel und ruhig. Normalerweise parkten dort Dutzende Autos mit Teenagern, die Bier tranken und Spaß hatten. Auf dem Parkplatz am Fluss waren sonst immer Pärchen, die noch ein paar zärtliche Momente miteinander verbrachten, bevor sie nach Hause mussten. Mason kam oft mit seinen Freunden her. Für ihn war es etwas völlig Normales, dort zu sein, und daher war er auch in diese Richtung gefahren. Wo er hinwollte, war ihm jedoch erst bewusst geworden, als er das Tor am Eingang passierte. Nur gut, dass sein Unterbewusstsein auf den Straßenverkehr geachtet hatte. Wenigstens hatte er den Sicherheitsgurt angelegt. Sein Leben hatte keine Zukunft mehr und vielleicht waren alle, die er kannte, tot, aber wenigstens schien er es nicht darauf anzulegen, ihnen zu folgen. Zumindest nicht sofort.
Das musste doch ein gutes Zeichen sein, oder nicht?
Mason parkte den Wagen an der Eisenbahnbrücke und schaltete den Motor aus. Die Stille erdrückte ihn. Er musste das Fenster öffnen, um einen Teil davon hinauszulassen. Fühlte man sich so, wenn man verrückt wurde?
Mit der Zeit gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit und die Umrisse der Bäume wurden schärfer. Er hätte jetzt gern etwas getrunken, etwas Hochprozentiges, das ein Loch in seinen Magen brannte und sein Gehirn ausschaltete. Seine Mutter hatte immer eine Flasche Whiskey im Haus und er wusste, wo sie sie aufbewahrte. Warum hatte er nicht daran
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