Dark Inside (German Edition)
etwas. Die Leute drehten durch. Sie gingen aufeinander los. Sie deponierten Bomben in Schulen und staatlichen Verwaltungszentren. Fremde legten Brände. Immer wieder gab es Berichte über Amokläufe in Restaurants und Krankenhäusern. Auf den Spielplätzen und in den Vorschulen wurde Jagd auf Kinder gemacht. Die Leute fielen über Familienangehörige und Wildfremde her. Für Letzteres war die geschmolzene Packung Tiefkühlerbsen auf der Couch Beweis genug. Egal, wie viel Mason auch trank, seine Schulter tat immer noch weh. Er hatte sich schon mehrmals im Bad vor den Spiegel gestellt und den Arm bewegt, so weit es eben ging. Nachdem er sein Hemd ausgezogen hatte, hatte er die Finger gespreizt und sich besorgt die Schwellung und die Blutergüsse angesehen. Mason hatte überlegt, ob er wieder in die Notaufnahme des Krankenhauses gehen sollte, aber vermutlich würde er es nicht einmal bis zum Eingang schaffen. Er fragte sich, ob seine Mutter immer noch auf der Intensivstation lag, tot und vergessen. War ihr Körper inzwischen steif? Die Totenstarre hielt doch nur für eine gewisse Zeit an, oder? Vielleicht war ihr Körper jetzt wieder weich, vielleicht zerfiel er langsam, während die Zellstrukturen sich auflösten, und es gab niemanden, der sie in die Leichenhalle brachte und in ein Kühlfach legte. Vielleicht bekam sie nie eine Beerdigung, dann würde ihr Krankenhausbett ihr Grab sein. Würde sie zur Mumie werden? Oder würde sie einfach nur verwesen?
Er wollte zurückgehen und sie holen. In der Garage war eine Schaufel und begraben konnte er sie im Garten. Das war vielleicht nicht so glamourös oder so heilig wie ein Friedhof, aber er hatte nicht viele Möglichkeiten. Allerdings wurde ihm bei dem Gedanken an ihre Leiche mulmig. Was, wenn sie schon aufgedunsen war? Was, wenn er sich geirrt hatte und seine Mutter noch am Leben war? Was, wenn sie jetzt in diesem Augenblick starb und nach ihm rief, während er so egoistisch war, sich mit ihrer einzigen Flasche Whiskey zu besaufen? Nein, er konnte nicht wieder ins Krankenhaus. Er wollte nur noch aufhören zu denken. So war es viel einfacher. Das Gefühl der Taubheit in seinem Körper war nicht verschwunden; es breitete sich eher noch aus. Als er sich die Fotos ansah, empfand er nichts, obwohl er wusste, dass da etwas hätte sein müssen. Er hätte traurig sein sollen.
Aber er war es nicht.
Er fühlte gar nichts.
Der Alkohol war keine Hilfe.
Irgendwo in der hintersten Ecke seines Gehirns hatte jemand einen Schalter umgelegt. Alles, was für ihn wichtig gewesen war, war einfach weg. Wie eine Funktionsstörung.
Es war besser so, jedenfalls sagte er sich das immer wieder. Gefühle führten nur zu Leid und Kummer. Wahrscheinlich würde er jetzt in seinem Zimmer auf dem Boden liegen und wie ein Baby weinen, wenn er noch etwas empfinden würde. So konnte er wenigstens funktionieren, oder besser, er würde es morgen früh können, wenn er wieder nüchtern war.
Er hatte genug getrauert.
Es war Zeit, etwas zu tun. Was auch immer geschah, es würde weitergehen. Er musste einen sicheren Ort finden, wenn er überleben wollte, eine kleine Blockhütte in den Bergen vielleicht, wo er warten konnte, bis alles vorbei war. Oder einen Strand, an dem er in der Sonne Schiffbrüchiger spielen konnte. Er würde es allein tun; er wollte keine Menschen um sich haben. Sie würden ihn nur aufhalten. Er brauchte niemanden.
Er musste nur noch alle Brücken hinter sich abbrechen.
In der Garage war ein Kanister mit Benzin für den Rasenmäher. Im Rausch wankte er hinaus und suchte den Kanister, der unter ein paar Planen steckte. Als er wieder im Haus war, fing er mit seinem Zimmer an. Ein sauberer Schnitt würde alles einfacher machen. Es gab nichts, was er hätte mitnehmen wollen. Mason kippte großzügig Benzin auf sein Bett und wanderte dann weiter. Als Nächstes waren das Gästezimmer und das Bad an der Reihe. Er lief am Schlafzimmer seiner Mutter vorbei – nein, dort brauchte er nicht hineinzugehen. Er überlegte, ob er ihren Schmuck mitnehmen sollte, entschied sich aber dagegen, da er ihn wohl kaum verkaufen konnte. Die Chance, dass in diesem Chaos noch irgendwo ein Pfandhaus geöffnet hatte, schien ihm verschwindend gering. Im Erdgeschoss kippte er Benzin auf den Fernseher und die Couch. In der Küche taufte er die Mikrowelle, den Tisch und die Vorhänge. Systematisch bewegte er sich von einem Raum zum nächsten, bis ihm das Benzin ausging. Doch mehr war gar nicht nötig. Ein
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