Dark Inside (German Edition)
aber nicht so geklappt wie geplant.«
»Du kannst gern mit mir kommen.«
Er wandte den Blick ab und sah sich auffallend lange in der Küche um. Sie wurde verlegen. Hatte sie etwas Falsches gesagt? Hatte sie zu früh gefragt? Gab es in dieser neuen Welt so etwas wie Fristen, die man einhalten musste? Womöglich dachte er, sie würde mit ihm flirten wollen. Wahrscheinlich sah sie ganz furchtbar aus und vielleicht roch sie sogar übel. Sie hatte seit Tagen nicht mehr die Möglichkeit gehabt, sich zu waschen.
»Ja, vielleicht«, antwortete er schließlich.
Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss.
»Das sollte jetzt nicht so rüberkommen«, sagte Michael. Er schien schon wieder ihre Gedanken zu lesen. »Es liegt nicht an dir. Es liegt an mir. Ich bin ganz schlecht in so was. Von der Gruppe, mit der ich zuletzt unterwegs war, sind jetzt alle tot. Vielleicht ziehe ich ja das Pech an. Willst du mich wirklich dabeihaben?«
»Ich lasse es darauf ankommen.«
»Also gut.«
Sie sah das Geschirr vor sich an. In der Schale klebten noch Reste vom Eis. »Wir brauchen wohl nicht aufzuräumen. Schließlich gibt es niemanden, der sich beschweren könnte.«
»Einer der Vorteile«, stimmt er ihr zu. »Ein Stück die Straße hinunter ist ein Motel, dort könnten wir, glaube ich, übernachten. Oder wenn du willst, können wir auch gleich aufbrechen. Eigentlich bin ich gar nicht mehr so müde. Aber es ist vielleicht besser, wenn wir bei Tageslicht losziehen. Es wird hier ziemlich dunkel und Taschenlampen können wir nicht benutzen. Man würde uns schon von Weitem sehen.«
»Stimmt«, sagte sie. Zum ersten Mal seit Wochen war sie kein bisschen müde, aber es war vermutlich keine gute Idee, jetzt sofort aufzubrechen. Er hatte recht. Sie sollten besser bis zum Morgen warten. »Wir können uns das Motel ansehen. Es wäre schön, wenn ich mich mal wieder waschen könnte.«
»In der Stadt gibt es auch ein Geschäft mit Klamotten«, meinte er.
Clementine sah an sich hinunter auf ihre karierte Bluse. Das eingetrocknete Blut hatte sie ganz vergessen. Es schien eine Ewigkeit her zu sein, dass sie auf diesen Kerl eingestochen hatte, diesen Hetzer, der versucht hatte, sie umzubringen.
»Ja, das ist auch eine gute Idee.«
»Und dann suchen wir deinen Bruder«, sagte er.
Sie lächelte. Michael in der Nähe zu haben, würde schön sein. Und sicher. Er gab ihr ein Gefühl der Sicherheit.
MASON
»Ich halte das für keine gute Idee.« Paul strich sich über das Kinn, das inzwischen die Bartstoppeln mehrerer Tage zierten.
»Das hast du über Canmore auch gesagt. Wir brauchen ein paar Vorräte. Wir haben nichts mehr zu essen. Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, aber ich bin am Verhungern. Du hast es hier mit einem ziemlich hungrigen Vögelchen zu tun und so langsam sträuben sich mir die Federn. Ich brauche Zucker.«
Mason schnaubte. »Und was bedeutet das genau?«
Chickadee lachte. »Es bedeutet, dass ich gleich zickig werde.«
Sie kauerten im Wald, an der Abzweigung nach Banff, das früher ein großer Touristenort gewesen war. Jetzt waren die Straßen mit liegen gebliebenen Autos und Wohnmobilen übersät. Und Leichen. Es war kein schöner Anblick und Mason starrte die meiste Zeit auf den Boden vor seinen Füßen. Vor ein paar Wochen hatte er festgestellt, dass er nichts mehr spürte. Die betäubende Wirkung hatte noch nicht völlig nachgelassen; die Wut in ihm schlummerte, sie hatte sich in die dunkelsten Winkel seines Gehirns zurückgezogen. Doch im Laufe der Zeit kamen immer wieder Bruchstücke hoch. Manche Erinnerungen weigerten sich, vergessen zu werden. Er dachte oft an seine Mutter, fragte sich, ob sie immer noch im Krankenhaus war und wie ihr Körper jetzt wohl aussah. Er dachte an Tom und fragte sich, ob seine Freunde Angst empfunden hatten, als ihre Körper zerfetzt und auseinandergerissen worden waren. Oder war ihr Tod schnell und schmerzlos gewesen? Hatten sie überhaupt eine Chance gehabt wegzurennen, als die Schule um sie herum eingestürzt war?
Zu viele Gedanken marterten sein Gehirn.
Trotzdem fiel es ihm schwer, nicht fröhlich zu sein, wenn Chickadee in seiner Nähe war.
»In einem früheren Leben warst du bestimmt ein buddhistischer Mönch oder so was«, hatte sie, ein paar Tage nachdem sie sich getroffen hatten, verkündet. »Leute, die ein Schweigegelübde abgelegt haben, sagen mehr als du.«
Mason hatte mit den Schultern gezuckt und sich abgewandt, doch er wusste ganz genau, dass sie das Lächeln auf
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