Dark Kiss
Schwierigkeiten geraten.“ Er grinste mich düster an. „Geh in die Schule wie ein braves Mädchen und halt deine kleine Freundin im Auge. Außerdem schlage ich vor, dass du dich von Bishop fernhältst, bis das hier alles vorbei ist.“
Ich lachte bitter.
„Was ist so lustig?“, wollte er wissen.
„Du klingst so, als sei dir dein Bruder scheißegal. Und ich habe geglaubt, ihr hasst euch weit mehr als diese übliche Engel-Dämon-Abneigung.“
„Ich empfinde gar nichts für ihn.“ Er presste die Lippen aufeinander. „Was auch immer du von uns denkst, es ist falsch. Wir hatten einmal biologisch etwas gemeinsam, aber das ist lange her. Zwischen uns gibt es nichts als ein paar schlechte Erinnerungen.“
„Also hasst du ihn nicht?“
„Hass kann ein nützliches Gefühl sein.“
Das war keine Antwort – nicht dass ich eine erwartet hätte. Ich sammelte mich einen Moment und war überrascht, dass ich in seinen Geist eindringen konnte. „Du hasst ihn allerdings nicht ansatzweise so sehr wie dich selbst, oder?“ Ich bedauerte meine Worte in der Sekunde, als sie ausgesprochen waren. Da die Retourkutsche ausblieb, vermutete ich, einen Nerv getroffen zu haben. „Du solltest nicht so empfinden“, meinte ich. „Ich weiß nicht, was zwischen euch beiden passiert ist, in eurerZeit als Menschen, doch …“
„Halt einfach die Klappe, Gray-Mädchen. Falls es dir irgendwie möglich ist.“
Ich zuckte zusammen und nahm alles zurück: Er hasste nicht nur sich selbst, sondern da war auch noch eine Menge Platz für mich.
Zwanzig lange Minuten später erreichten wir endlich die Auffahrt zu meinem Haus, und ich traute mich, ihn wieder anzusehen. Kraven jedoch hatte sich bereits umgedreht und ging. Schnell lief ich ins Haus. Den einzige Hinweis darauf, dass meine Mutter hier gewesen war, stellte das leere Weinglas in der Spüle dar. Während ich in der dunklen Küche stand und mich vollkommen allein im Universum fühlte, bemerkte ich etwas Wichtiges: Zum ersten Mal seit einer Woche hatte ich keinen Hunger.
Als meine Mutter um kurz nach zehn nach Hause kam, dachte sie, dass meine niedergeschlagene Stimmung von der Neuigkeit herrührte, dass ich adoptiert war. Sie hatte solche Schuldgefühle, weil sie es mir nicht früher gesagt hatte, dass sie mir kaum in die Augen sehen konnte. Ich war darüber aufgebracht, allerdings nicht annähernd so sehr, wie sie glaubte. Es war zwar ein Schock gewesen, hatte aber auch geholfen, einige Dinge ins rechte Licht zu rücken. Ich fragte mich, wie sie reagieren würde, wenn sie herausfände, wer meine biologischen Eltern waren. Sie würde es nicht glauben. Umgekehrt würde ich das auch nicht tun. Sie mochte meine Adoptivmutter sein, trotzdem war ich wie sie Skeptikerin und Realistin.
Ich wünschte, ich hätte einen tollen Plan, damit alles wieder in Ordnung käme, doch den hatte ich nicht. Nach einer weiteren ruhelosen Nacht, in der ich kaum mehr als eine halbe Stunde geschlafen hatte, schlurfte ich wieder zur Schule. Oh wundervoller Freitag.
Meine Gedanken waren aber nicht nur mit meinen eigenenSorgen beschäftigt, sondern ich konnte auch Bishop nicht aus meinem Kopf verbannen. Es war Folter, über ihn nachzudenken – daran, was geschehen war. Der Ausdruck in seinem Gesicht, als er erfuhr, dass er ein gefallener Engel war. Sofort hatte er erkannt, dass er nicht zurückkehren konnte, auch wenn es ein Fehler des Himmels war. Es war nicht Bishops Schuld. Er hatte alles für diese Mission gegeben. Es musste eine andere Ursache geben. Der Obdachlose war auch gefallen, also musste auch er eine Seele haben. Mir blutete das Herz bei der Vorstellung, dass so Bishops Zukunft aussehen würde: allein und vom Wahnsinn getrieben durch die Straßen der Stadt zu wandern. Ich atmete tief durch und versuchte, nicht im Treppenhaus der Schule ohnmächtig zu werden.
Ich wollte nicht, dass Bishop verletzt wurde. Ich wollte, dass es ihm besser ginge. Er war so mutig. Er hatte sich für einen Auftrag freiwillig gemeldet, welche die Stadt davor bewahren sollte, zerstört zu werden. Das alles, um die Balance des verdammten Universums wiederherzustellen. Jetzt musste er vielleicht für immer hierbleiben. Und mit jedem Tag würde er verrückter werden. Es war so unglaublich unfair. Ich sehnte mich danach, ihm zu helfen, ihn zu berühren und den Wahnsinn zu vertreiben, doch Kraven verbot mir, mich ihm zu nähern. Bishop brauchte mich aber – ungeachtet dessen, was zwischen uns geschehen war. Ich musste ihn
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