Dark Love
betastete.
»Es ist das Einzige, an das wir denken sollten , Nora!«, gab Tante Gene hitzig zurück. »Nur durch eine Heirat können wir unsere gesellschaftliche Position verbessern. Ich will raus aus diesem Erdloch. Ich will endlich wieder meinen Platz in den obersten Rängen einnehmen. Warum verstehst du das nicht?«
»Weil es uns hier unten doch gut geht!«
»Im Leben geht es nicht nur darum, es gut zu haben. Alles, was zählt, ist Aufstieg. Du solltest dir diesen Rat lieber zu Herzen nehmen, und zwar schnell, bevor du dich in der Gosse wiederfindest.«
Diese Übertreibung entlockte mir ein kurzes, freudloses Lachen. »Bis in die Gosse ist es noch weit.«
Tante Genes Blick durchbohrte mich. »Tatsächlich? Ist dir überhaupt bewusst, was für Opfer für dich gebracht wurden? Dein Vater war kein besonders reicher Mann – wofür allein er selbst verantwortlich war. Bisher konnten wir uns einzig durch die Großzügigkeit deines früheren Onkels über Wasser halten. Dein Vater hat uns nichts als seinen guten Namen und seinen gesellschaftlichen Rang hinterlassen, seine Rente ist kaum der Rede wert. Wir ertrinken in Schulden, Nora.« Und als ob sie annähme, ich würde ihr dies nicht ohne Beweise glauben, ging sie zu ihrem goldenen Rollpult hinüber und begann, dicke Packen Briefumschläge hervorzuholen. »Schau dir das an!«
Ich wollte nicht, aber ich musste. Meine Wange brannte noch immer, als ich zu meiner Tante trat und die Papiere in ihrer Hand betrachtete. Es waren Schreiben von Gläubigern.
Was hatte sie nur getrieben?
»Auf dem Haus liegt eine Hypothek«, fuhr sie mit vor Wut zitternder Stimme fort, während sie die Briefe durchsah und einen nach dem anderen auf das Pult legte. Ich hob sie der Reihe nach auf und starrte auf die kleine, unheilschwangere Schrift. »In jedem Laden, den du dir vorstellen kannst, haben wir offene Rechnungen. Das wird nicht mehr lange so weitergehen. Wir haben gerade noch genug, damit du die Schule beenden und in die Gesellschaft eingeführt werden kannst, und dann …«
An diesem Punkt hörte ich nicht mehr zu. Mir wurde kalt. Mir war klar, was sie wollte.
Ich sollte debütieren, sofort einen reichen Mann finden – ungeachtet seines Naturells, seiner Persönlichkeit oder dem Zustand seiner Körperhygiene – und ihn heiraten.
»Das werde ich nicht«, krächzte ich.
Tante Gene hob das Kinn und strich sich übers Kleid. »Nun, wenn du nicht willst, dann werde ich es eben tun. Aber nur, um mich selbst zu retten. Es ist Zeit, dass du erwachsen wirst, Zeit, dass du dir Gedanken um die Zukunft deiner Familie machst. Ich kann nicht ewig für dich sorgen.«
Röte stieg mir ins Gesicht. »Moment mal. Das hier hast du uns doch eingebrockt!« Mein Mund schien sich gegen jede Bewegung zu sträuben, ich konnte dem Zorn, der in mir tobte, nur langsam Ausdruck verleihen. Das machte mich noch wütender. »Hast du gedacht, du würdest damit durchkommen? Hast du gedacht, du könntest einfach so weiterleben wie bisher? Du wirst uns da wieder rausholen oder ich drehe dir persönlich den Hals um!«
Die Augen meiner Tante wurden dunkel, sehr dunkel. »Willst du mir etwa drohen, Nichte?«
Oh, wie gerne ich das getan hätte! Wie gerne hätte ich sie zu einem blutigen Klumpen geprügelt. Aber mit übermenschlicher Anstrengung gelang es mir, meine Zunge im Zaum zu halten, auch wenn meine Hände, die noch immer die Rechnungen umklammerten, zitterten.
Zufrieden mit meinem Schweigen drehte sich Tante Gene schwungvoll von mir weg, wobei sie nach ihrer Kunstpelzstola und einer Maske griff. »Ich schlage vor, dass du den Abend nutzt, um die Situation gründlich zu durchdenken und dir darüber klar zu werden, welche Rolle du bei ihrer Lösung zu spielen hast.« Sie zog an der Schnur der Glocke, die Alencar mitteilen würde, dass sie bereit zur Abfahrt war. »Und nun gute Nacht, Nora.«
Ich gab keine Antwort. Ich traute meiner Stimme nicht.
»Gute Nacht , Nora.«
»Gute Nacht«, zischte ich hasserfüllt.
Hoch erhobenen Hauptes verließ sie den Raum.
Mein Hirn begann auf Hochtouren zu arbeiten. Eine Lösung? Ich könnte den Anwalt der Familie aufsuchen und ihn davon überzeugen, dass sie allein diese Katastrophe zu verantworten und ich nichts davon gewusst hatte. Dass sie, die zu meinem Vormund ernannt worden war, mich ruiniert hatte. Ich könnte den ehemaligen Premierminister um einen Gefallen bitten und sie öffentlich bloßstellen.
Aber wie immer gab es keine Möglichkeit, diese
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