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Dark Love

Dark Love

Titel: Dark Love Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lia Habel
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aufbauen?«
    »Du wirst schon nicht zu lange auf der Straße sitzen«, sagte Tom mit einem schiefen Lächeln. »O Mann, ich sehe immer noch, wie sie da in ihrem schicken Kleidchen steht und auf diese Mistkerle feuert. Das war … wunderschön. Wirklich, dass es so etwas Schönes gibt, muss bedeuten, dass da oben doch ein gütiger, herrlicher Gott existiert. Ich habe zum Glauben gefunden, meine Freunde.«
    »Sie ist immer noch eine von den Royals«, betonte ich in einem halbherzigen Versuch, mich selbst zu überzeugen. »Ihr wisst doch, wie ihre Mädchen sind. Das soll keine Beleidigung sein, Chas.«
    »Warum sollte mich das beleidigen? Ich weiß, dass ich nicht so bin«, schnaubte sie und riss das Streichholz an ihrem Metallkiefer an.
    »Ich sag’s euch«, entgegnete Tom unbeeindruckt. »In spätestens einer Stunde wacht sie auf, kippt irgendwas Hochprozentiges und verlangt eine Uniform.«
    »Hm. Vielleicht sollte ich dann lieber sie daten«, murmelte Chas nachdenklich vor sich hin.
    Ich seufzte und suchte in meinen Gedanken nach Trost. Okay, ich würde mich also eindeutig Wolfes Befehlen widersetzen. Warum auch nicht? Mit Fehlgriffen und Demütigungen kannte ich mich jetzt ja immerhin schon aus. Viel schlimmer konnte die Woche nicht werden. Außerdem waren es ja noch fünfunddreißig Stunden und fünfundfünfzig Minuten, bevor ich mich Wolfe stellen musste.
    Und ich hatte volle zwei Stunden davon für mich allein. Zwei Stunden, in denen ich den drohenden Ärger vergessen und das ungute Gefühl, eine falsche Entscheidung getroffen zu haben, beiseiteschieben konnte. Zwei Stunden, während denen ich sie nicht berühren, sie nicht einmal anschauen musste.
    Zehn Minuten später stand ich neben Miss Dearly und starrte auf sie hinab. Man hatte sie gewaschen und hinter einen Raumteiler gelegt, in dem Bereich, in dem die lebenden Ärzte und Pfleger arbeiteten. Ich wusste, warum sie gerade diesen Ort ausgewählt hatten.
    Hier liefen keine Toten herum.
    In meinem Körper tobte jetzt eine ganz andere Schlacht. Ich ignorierte sie, achtete nicht auf meine geschärften Sinne, meine prickelnde Haut. Ich behielt die Hände bei mir.
    Silhouetten, die sich gegen den Stoff des Raumteilers abzeichneten, machten deutlich, dass ich nicht so allein mit ihr war, wie es den Eindruck erweckte. Ich stand still an ihrer Seite, lauschte auf ihre ruhigen Atemzüge und die Geräusche, die die Mediziner bei der Arbeit hier im Rumpf des Schiffes verursachten.
    Mir lagen eine Menge Dinge auf der Zunge, die ich ihr gerne gesagt hätte. Ich leistete ihr im Stillen viele Versprechen, Schwüre eines Toten, während die Jungs unter uns Kohle in die Heizkessel schaufelten und das Schiff Fahrt aufnahm wie eine Sirene auf der Suche nach freundlicheren Ufern.

Langsam drückte ich den Knopf des tragbaren Übermittlungsgeräts, der die Verbindung zu Griswold unterbrechen würde. Ich riss mich schwer zusammen, um nicht aufzuspringen, den Lenker meines Motorrades abzureißen und damit auf alles einzudreschen, das mir unter die Augen kam.
    Eines Tages würde ich diesem Bengel den Kopf abschlagen und welch eine Genugtuung das wäre.
    Ich steckte das Übermittlungsgerät in meine Jackentasche und verlagerte das Gewicht auf dem Sitz. Das Motorrad war eine zusammenklappbare Skelettkonstruktion, die einzig aus Leitungen und bloßliegendem Getriebe bestand. Für jemanden meiner Größe war es nicht gedacht. Ich sollte besser zu meinen Männern zurückkehren, bevor es noch unter mir zusammenbrach. Ein Spaziergang im Dunkeln, umgeben von Zombies, war das Letzte, wonach mir zumute war. Es gab noch so viel zu tun und mir lief die Zeit davon.
    Doch mein Körper schien sich meinem Verstand zu widersetzen. Er rührte sich nicht. Ich saß einfach da, umgeben von in Dunkelheit gehüllten Bäumen, sirrenden Insekten und quakenden Fröschen, die mir Gesellschaft leisteten. Wolken von Moskitos trieben durch den Schein der Lampe, die ich im Lager am Lenker des Motorrads befestigt hatte. Der Anblick fesselte mich und stieß mich zugleich ab.
    Runde eins des Spiels war vorüber. Ich war noch immer wütend. Ich war noch immer verwirrt – furchtbar verwirrt. Und noch immer betete ich stumm, ohne mir dessen wirklich bewusst zu sein, während mein Körper sich versteifte und nach vorne neigte, als versuchte er instinktiv, irgendeinem Gott zu huldigen, der mir meinen einzigen Wunsch vielleicht erfüllen könnte.
    Aber das Schlimmste war vorüber. Zumindest für den Moment konnte ich

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