Dark Love
mich zu konzentrieren. Im Zimmer war es selten vollkommen still. Ich konnte Geräusche aus den umliegenden Räumen hören, das Scharren von Stiefeln und Möbeln, das leise Raunen von Stimmen und Radios. Aus irgendwelchen Gründen schienen die Untoten Musik zu lieben. Einmal vernahm ich ein merkwürdiges feuchtes Schmatzen, das ich in meiner Vorstellung sofort mit einem gräulichen Fressgelage in Verbindung brachte – woraufhin mich eine Gänsehaut überlief, die meine Entscheidungsfreudigkeit keineswegs positiv beeinflusste.
Schließlich war es Elpinoy, nicht Bram, der mich ungewollt ermutigte. Und zwar einfach dadurch, dass er immer wieder lebend zurückkehrte. Er hatte mit den Zombies vor meiner Tür herablassend und nicht ängstlich gesprochen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er jemanden reizen würde, der ihm daraufhin eventuell alle Glieder einzeln ausriss.
Obwohl mein Überlebensinstinkt brüllte wie ein betrunkener Stadtschreier, kam ich nach und nach zu dem Schluss, dass ich hinausgehen und mich unter die Zombies mischen musste, wenn ich mehr über meinen Vater herausfinden wollte. Nachdem ich mir eingestanden hatte, dass meine Möglichkeiten darin bestanden, entweder zu sterben oder mein restliches Leben in diesem fensterlosen Raum zu fristen, überkam mich ein Gefühl des Friedens.
Nachdem das erledigt war, schlief ich fest ein und wachte am nächsten Morgen mit der Erkenntnis auf, dass ich … neugierig war.
Und der Brief meines Vaters machte mich umso neugieriger.
Nora, mein Schatz,
inzwischen müssten bereits ein paar Uniformierte zu dir gekommen sein, um dir mitzuteilen, dass ich gestorben bin. Sie werden dir diesen Brief übergeben haben. Zur Bestätigung hatten sie vielleicht auch noch weitere Schreiben bei sich, eine Flagge und alle Rangabzeichen. Der Premierminister selbst ist vielleicht schon zu Besuch gekommen, und zumindest er müsste es doch wissen, wenn ich wirklich tot wäre, nicht wahr?
Glaube ihnen nicht.
Sei wachsam.
Ich liebe dich viel zu sehr, um dich jemals zu verlassen.
Ich liebe dich,
Papa
Um ehrlich zu sein, hatte ich absolut keine Ahnung, was dieser Brief bedeuten sollte. Hatte er vorgehabt, ihn mir zukommen zu lassen, nachdem er sich in ein Monster verwandelt hatte? Nach seinem Scheintod vor erbärmlichen zwölf Monaten? Hatte meine Mutter den Brief, den er ihr laut Bram angeblich geschrieben hatte, jemals erhalten? Tatsächlich bestätigte dieses Schreiben nur, dass Bram die Wahrheit gesagt hatte.
Ich musste mir die Aufnahmen auf dem Zylinder ansehen.
Aber zuerst musste ich mich bereit machen.
Das warme Wasser fühlte sich auf meiner Haut gut an.
Ich schüttete den Rest der Seife, die Dr. Chase mir geschickt hatte, in meine Handfläche und schäumte mich sorgfältig ein drittes Mal damit ein. Wenn ich die Augen schloss, konnte ich noch immer all diese Verwesenden sehen, die nur aus Augäpfeln und zuschnappenden Zähnen zu bestehen schienen. Allmählich gab ich es jedoch auf, mich von dieser Erfahrung reinwaschen zu wollen, und akzeptierte, dass ich mich wohl nie wieder richtig sauber fühlen würde.
Auf jeden Fall hatte ich keine Seife mehr.
Ich drehte das Wasser ab und stieg aus der Dusche. Es gab im Badezimmer keinen Spiegel. Ich rieb meine Haare mit einem Handtuch trocken und zog die geliehene Kleidung an, bevor ich die restlichen Dinge wieder in den Leinenbeutel packte. Ich legte auch den Brief und den Zylinder dazu.
Der Wecker sagte mir, dass es beinahe sechs Uhr früh war. Ich blieb auf dem Bett sitzen und beobachtete, wie der Zeiger die Sekunden zählte. Irgendwann würde Bram kommen, aber ich wusste nicht genau, wann.
Und ich wusste nicht, wie ich aussah, und bemerkte, dass es mich mehr verunsicherte, als ich gedacht hätte. Ich versuchte, dieses Gefühl zu ignorieren, und vertrieb mir die Zeit damit, meine Haare weiter zu trocknen. Wie immer versuchte ich, sie mit den Fingern in angemessene Wellen zu legen, aber nach all dem Gerede über Krankheit und Tote hatte mein Unterbewusstsein offenbar entschieden, dass meine geistige Gesundheit davon abhing, mein Gesicht betrachten zu können.
Ich stand auf und ging zum Schreibtisch hinüber. Darauf konnte ich nichts finden, was an einen Spiegel erinnerte. Im Interesse der Wissenschaft überflog ich kurz Brams Büchersammlung. Keines der Bücher war digital. Er hatte eine Bibel, ein Grammatikbuch, das einem Erstklässler gehört zu haben schien, ein paar Abenteuerromane (offensichtlich handelten sie
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