DARK MISSION - Fegefeuer
drückte es ihm in die Hand.
In diesem Moment hätte Silas am liebsten vor Glück ihren Mund geküsst, ihre Füße und den kalten Felsboden, auf dem sie ging. »Du bist echt der Hammer«, sagte er und hauchte ihr einen Kuss aufs Handgelenk. »Echt der Hammer.«
»Ha!« Vor Kälte klang Jessie kurzatmig, trotzdem hörte er die Wärme darin. »Das sagst du jetzt!« Jessie kauerte sich an die Steilwand des Grabens. Ihr Blick erschien im schwachen Licht des kleinen Geräte-Displays unergründlich.
Rasch überprüfte Silas das Com. »Ich hatte schon gehofft, dass das Material der Jacke nicht nur Show ist. Das Ding ist in Ordnung, arbeitet einwandfrei.« Wie er bemerkte, zeigte es jede Menge Anrufe, aber keine Nachrichten an. Er ignorierte alle Anzeigen, zog den kleinen Ohrhörer heraus und steckte sich diesen unter Aufbietung seiner ganzen Konzentration ins Ohr.
»Weck mich«, meinte Jessie müde und legte das Kinn auf die eng an die Brust gezogenen Knie, »wenn das Rettungsteam hier ist! Ich möchte einem von denen einen Kuss geben.«
Silas drückte halb taube Finger auf das Tastfeld. »Irgendwen küssen ist nicht mehr«, erwiderte er, aber seine Aufmerksamkeit galt nurnoch dem Anruf, den er zu machen hatte. »Nun mach schon«, murmelte er, »geh endlich ran, verdammt noch …!«
»Wann war deine letzte Beichte?«
Die Stimme vollendete das Werk, das der verfluchte Eisfluss begonnen hatte. Silas erstarrte. Er schloss die Augen. »Jonas«, sagte er leise. Plötzlich wollten viel zu viele Worte auf einmal über seine Lippen und blieben ihm daher in der Kehle stecken, die ihm vor Anspannung beschissen eng geworden war. Er knirschte mit den Zähnen und verbiss sich jedes einzelne Wort, das er hatte sagen wollen.
Was hätte er auch zu einem Menschen sagen können, dessen ganzes Leben er ruiniert hatte?
Jessie neben ihm hob den Kopf. Silas musste sich nicht vergewissern. Er wusste, dass ihr Blick allein auf ihm ruhte. Dass sie zuhörte, auf jedes Wort, jeden Laut lauschte. Silas stemmte sich hoch, kam auf die Füße und ging ein paar Schritte zur Seite.
»Silas!« Jonas hatte immer schon eine herrliche Tenorstimme gehabt, auf elektronisch Übermitteltem immer schon leicht zu unterscheiden von anderen Stimmen. Jetzt sagte er und betonte dabei, ein Zeichen von Besorgnis, jede Silbe einzeln: »Wo zum Teufel bist du? Seit Stunden durchkämmen ganze Teams den Graben.«
Jede einzelne Silbe war ein Faustschlag, der Silas mitten in die Magengrube traf. Mitten ins Herz. Er schloss die Augen. »Dann hat Naomi dich also erreicht.«
»Was soll das, Silas?« Jonas’ Tonfall wurde schneidend. »Zieh jetzt ja nicht mit mir dieselbe Show ab …«
Schlechter Zeitpunkt, um sich darum zu kümmern. Silas nahm sich fest vor, das später zu tun, und unterbrach Jonas mitten im Satz: »Hat Naomi dich auf den neuesten Stand gebracht?«
Es entstand eine Pause. »Jep«, antwortete Jonas schließlich und lachte. »Himmel, ist das schön, deine Stimme zu hören! Also wo bist du denn jetzt?«
Schön, seine Stimme zu hören? Mitglied in Silas’ sogenanntem Team zu sein? Der Kerl war ja wohl nicht mehr ganz dicht! »Ich benutze das Back-up-Gerät«, erwiderte Silas. »Orte das Signal! Papa sieben Delta Delta eins.«
»Bin schon dran. Wie viel Saft hat das Ding noch?«
Silas warf einen prüfenden Blick auf das Display. »Ist noch ein halber Balken übrig. Schick uns was, damit wir dran hochklettern können! Wir sind immer noch im Graben.«
»Okay. Wir dürften in etwa einer Stunde bei dir sein.«
Silas blickte hinauf in den Himmel. Finsterste Nachtschwärze und sonst nichts. Mit eisigen Fingern rieb er sich die Unterlippe und sagte grimmig: »Besser, das dauert nicht so lang. Unser Tank läuft hier unten schon eine ganze Weile auf Reserve.«
»Verstanden.« Silas hörte Jonas, die Hand über dem Mikro, Befehle zu irgendwelchen Leuten um ihn herum brüllen. Silas verstand nicht ein Wort, ehe Jonas die Hand wieder wegnahm. »Wir sind dann also in etwa … Jesusmaria, Naomi! Okay, bleib dran …«
Silas zuckte zusammen, als es in seinem Ohrhörer dumpf knackte und rauschte. Offenkundig wurde das Com-Gerät von einer Hand zur nächsten weitergereicht. »Ist die kleine Leigh immer noch bei dir?« Naomis Stimme war jetzt in der Leitung, und ziemlich kurz angebunden.
Silas runzelte die Stirn. »Jep, sie …«
»Greif sie dir!«, befahl Naomi. »Wir haben die Blutproben vom Labor zurück. Dein süßes Täubchen ist eine Hexe.«
Silas
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