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DARK MISSION - Fegefeuer

DARK MISSION - Fegefeuer

Titel: DARK MISSION - Fegefeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karina Cooper
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das dünne Türblatt auf, wusste aber schon, was ihn dahinter erwarten würde. Wind trieb Regen durch das weit geöffnete Fenster herein und hatte die billigen Vorhänge beiseitegeweht. Das Licht, das für die mittleren Ebenen der Stadt charakteristisch war, fiel in den Raum hinein und auf ein schmales, von seiner Bettwäsche entblößtes Bett. Wie ein Scheinwerfer beleuchtete es das improvisierte Seil, das fest um den Heizkörper unterhalb des Fensterbretts geschlungen war. Der überbeanspruchte Heizkörper knarzte und ächzte metallisch.
    Unglaublich! Überraschung, Resignation und purer Zorn vermischten sich miteinander, als Silas mit vier langen Schritten beim Fenster war. Sein Blick folgte dem vor dem schmutzigen Grau der Fassade gut erkennbaren Weiß des Bettzeugs wie ein Suchscheinwerfer.
    Jessies behelfsmäßiges Seil hatte ihr nur ein Stockwerk auf dem Weg nach unten eingebracht. Jetzt baumelte sie verdammt viel zu hoch über dem Bürgersteig.
    »Jessie!«
    Sie blickte zu ihm hoch. Silas sah, wie sie entschlossen die Zähnezusammenbiss, das blasse Oval ihres Gesichts leuchtete im scharfen Licht eines Blitzes hell auf. Zum Schutz vor dem Regen, der um Jessie herum gegen die Hauswand schlug, senkte sie wieder den Kopf. Sie streckte ein Bein vor, suchte mit dem Stiefel Halt auf einer schmierig-schmutzigen Fensterbank.
    Dummes Weibsstück! Silas packte das Betttuch mit beiden Händen. »Halt dich fest!« Der Stoff spannte sich, als Silas sich gegen das Fensterbrett stemmte.
    Er musste nicht groß raten, was wohl passiert sein könnte, als das Laken in seinen Händen plötzlich schlaff wurde. Die Kraft, mit der er sich gegen Jessies Gewicht gestemmt hatte, ließ ihn jetzt rückwärtstaumeln. Das Lakenende peitschte durchs Fenster und gegen Silas’ Brust. Er ließ es fallen; und es landete als durchnässtes Knäuel auf dem Teppich. Silas verzog das Gesicht, als es in seinem Knie scharf knackte und ein greller Schmerz ihn durchzuckte. Dennoch war Silas gleich darauf erneut am Fenster und starrte die Hauswand hinunter.
    Jessie klammerte sich an das Fallrohr an der Mauer. Zum Teufel noch mal, was verflucht wollte die Kleine denn beweisen?
    »Verdammt, rühr dich jetzt ja nicht vom Fleck!«, brüllte Silas hinunter.
    Das Licht leuchtete auf den Kupfersträhnen in Jessies Haarschopf, als sie ihren Kopf zurücklegte und zu ihm hinaufblickte. Sie kniff die Augen zusammen.
    Und dann ließ sie los.
    Silas wurde es eng um die Brust, als er Jessie wie einen Stein fallen sah. Sie war noch nicht unten auf dem Pflaster aufgeschlagen, da hastete er bereits in Richtung Tür.
    Das würde echt wehtun. Aber Jessie wusste das, als sie den Pflastersteinen entgegenfiel.
    Weil sie es wusste, war sie auf den Aufprall vorbereitet. Bewusst zwang sie sich, alle Muskeln zu entspannen. Gleich würde sie untenauftreffen, schwer aufschlagen bei dieser Geschwindigkeit. Beim Aufprall schoss Schmerz ihre Beine hoch, aber da rollte sich Jessie auch schon ab. Mit dem Rücken lag sie auf dem Asphalt, die Welt um sie herum drehte sich. Füße und Beine, die die meiste Aufprallenergie abbekommen hatten, pochten und fühlten sich taub an. Aber Jessie hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, wie weh sie sich getan hatte. Sie rollte sich zur Seite und stemmte sich hoch.
    Sie musste unbedingt zum Stadtkarussell zurückfinden. Die Stadt war einem in sich gedrehten Kuchen aus Metallscheiben vergleichbar, einem sich nach oben verjüngenden Gewinde. Zur Basis hin wurden die tieferen Ebenen der Stadt immer breiter und jede Ebene, außer an ihrem äußersten Rand, immer lichtloser und dunkler. Jessie aber wusste genau, wie man sich in den finsteren Tiefen der sonnenlosen Straßen gleich über den eingeschlossenen, zugedeckelten Überresten des alten Seattle verbergen konnte.
    Fußgänger waren auf dem Karussell nicht erlaubt. Aber es gab in dessen Nähe Treppen, die sich durch den Beton und den Stahl bohrten, um die einzelnen Ebenen der Stadt und das Netz ihrer Straßen miteinander zu verbinden. Besser noch: Die Treppen steckten in Betonröhren, sodass die Bessergestellten aus den Oberebenen die Fußgänger aus den Mittel- und Unterebenen dort vom Labyrinth der verkehrsführenden Trassen aus nicht zu Gesicht bekamen.
    Mit ein bisschen Glück würden der Missionar und seine Freunde vermuten, Jessie wäre zu ihrer alten Wirkungsstätte zurückgekehrt. Schließlich war das der einzige sichere Ort, den sie deren Meinung nach kannte. Vielleicht hätte Jessie das

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