DARK MISSION - Fegefeuer
beobachtete, wie Jessie das alles mit einer zweifelndhochgezogenen Augenbraue in sich aufnahm und ihm dann einen skeptischen Blick zuwarf.
»Mehr gibt’s nicht«, bestätigte er die stumme Frage in diesem Blick. Aber um seinen Mund zuckte es. Ganz schön mäkelig für eine Stripperin. Silas schälte sich aus seiner Jacke, warf sie über die Rückenlehne der Couch und humpelte in die winzige Küche hinüber. »Im Grunde ist der Zirkel der Erlöser eine ganz typische Terrororganisation. Aber weil er weltweit operiert, ist er so gefährlich. Wenn’s darum geht, kleinere, nur für ein bestimmtes Operationsgebiet definierte Ziele zu erreichen, spaltet sich der Zirkel in einzelne Zellen auf.«
»Mhm-hmm!«
Das charakteristische Knacken verriet, dass Silas die Kühltruhe öffnete. Er schnitt eine Grimasse, als er darin nichts als gefrorene Fertiggerichte fand.
»Es gibt Plastik und Pappe zum Abendessen, falls du Hunger hast.«
»Keinen Hunger.« Jessie verzog das hübsche Gesicht. »Ich habe schon bei der Arbeit gegessen.«
Silas griff sich einen der Plastikbehälter und humpelte zurück zur Couch. Bei jedem Schritt mahlten die Knochen in seinem Knie wie schwere Mühlsteine aufeinander. Silas stöhnte vor Anstrengung, als er sich in die durchgesessenen Polster der Couch fallen ließ. Kaum dass er saß, legte er sich die Tiefkühlmahlzeit auf das verletzte Knie. »Scheiße noch mal«, murmelte er. Halb war es Protest, halb Erleichterung, als das Brennen der Eiseskälte sich mit Windeseile durch den pochenden Schmerz in seinem Knie fraß. Silas schloss die Augen. »Also, es ist ganz einfach: Wir treffen uns deshalb mit noch mehr Agenten, weil es auch mehr als nur ein paar böse Jungs gibt. Glaub mir: Eine ganze Gruppe von Zielpersonen alleine anzugehen, ist nicht gerade ein Ticket zum Überleben.«
»Wie viele sind es denn?«
»Mitglieder im Zirkel? Wir wissen es nicht genau.«
»Nein, ich meine: Agenten.«
Normalerweise waren es mindestens vier: der Einsatzleiter, derTechie, also der technische Überwachungsspezialist, verantwortlich für den ganzen computergestützten Kram, und zwei Agenten, die den Einsatz durchführen. Silas nahm an, dass sich auch das in den letzten vierzehn Jahren nicht geändert hatte. Aber ganz sicher war er nicht.
Ohne hinzusehen, spürte er die Holzperlen um sein Handgelenk. Totes Gewicht.
Mühsam blinzelte er unter einem Auge hervor und stellte fest, dass Jessie ihn beobachtete. Geduldig. Sie versuchte ihn einzuschätzen. Jedenfalls sofern er das Rattern der Rädchen nicht missdeutete, die offensichtlich eifrig unter der Rothaar-Perücke arbeiteten. »Wahrscheinlich vier, möglicherweise fünf.«
Jessie presste die Lippen zusammen. Lange und unverwandt musterte sie sein Gesicht. Dann blickte sie auf sein Knie. Silas lachte grimmig in sich hinein. Jetzt war wahrscheinlich nicht der passende Moment, um sie zu fragen, ob sie nicht für ihn tanzen wolle.
Sie musterte ihn auf dieselbe Art und Weise, wie sie das Apartment unter die Lupe genommen hatte. Silas war sich nicht sicher, ob er sie hatte beeindrucken können. Verletzter Stolz nagte den Bruchteil einer Sekunde an ihm, dann fand er sich damit ab.
»Warum haust du dich nicht aufs Ohr und schläfst ’ne Runde …?«, sagte er. Es war kein Vorschlag. Er tat nicht einmal so, als hätte sie eine Wahl. Sie runzelte die Stirn, also fügte er hinzu: »Du kannst das Bett haben.«
Dieses Mal war das Lächeln echt. »Die Couch da ist ganz schön schmal.«
Das stimmte. Und dem Sitzgefühl nach waren die Polster mit Steinen gefüllt. Aber Silas schloss wieder die Augen und zuckte mit den Schultern. »Ich kann überall schlafen. Aber du musst das heute nicht. Ich wecke dich dann morgen früh.«
Wenn Stille Worte hätte, dann würde er jetzt einen sehr genervten Monolog halten. Er hielt die Augen geschlossen und zwang sich, entspannt zu wirken, obwohl er Jessies Blick wie ein Tonnengewicht auf sich liegen spürte. Sein Knie zickte herum, bombardierte ihn mitgleißendem Schmerz; bei jedem Atemzug bohrten sich die kaputten Sprungfedern der Couch in seinen Rücken, und diese verwünschte Neoprenjacke von ihr würde sich mit Sicherheit wie Geschenkpapier herunterschälen lassen.
Schließlich, als sich das Schweigen zwischen ihnen unangenehm lang ausdehnte, die Spannung zu groß wurde, holte Silas Luft, um …
Irgendetwas. Sag einfach irgendetwas! Warne sie, bring sie dazu zu kooperieren! Quatsch ihr ihre Neoprenjacke und ihre Jeans vom Leib
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