DARK MISSION - Fegefeuer
Vielleicht einen wunden Punkt?
Konnte er das vielleicht irgendwie nutzen?
»Okay.« Sie straffte die Schultern, richtete sich im Sitz auf, langsam, mit Bedacht. Nur ihre Hand befand sich reflexartig auf dem Weg zum Hals. Jessie bemerkte es und ließ die Hand wieder in den Schoß sinken. »Und was hast du dann vor mit mir? Willst du mich irgendwo absetzen? Mich auf der Schwelle irgendeines armen nichts ahnenden Irren deponieren? Ich begreife ja, warum du das willst, Silas, aber das Ganze ist Schwachsinn, sonst nichts!«
»Ich deponiere dich nicht auf irgendeiner Schwelle. Ich bringe dich nach oben. Da oben bist du von mehr Sicherheitsvorkehrungen umgeben als sonstwo in der Stadt. Da oben bist du in Sicherheit, vertrau mir!«
»Dir vertraue ich ja.« Der Satz triggerte etwas in Silas, an dem er lieber nicht gerührt hätte. »Aber was ist mit deinen Leuten?« Mit einemMal klang Jessie verzweifelt. »Was ist beispielsweise mit dem Feuer in eurer angeblich so sicheren Wohnung?«
»Das lag an dir.«
Jessies Augen weiteten sich. »Wie bitte?«
»Irgendwie haben sie einen Zugang zu dir gefunden. Sich auf dich eingeschossen, sozusagen«, erklärte Silas. Stur behielt er die Straße im Auge. Der Verkehrsfluss verlangsamte sich, vor ihnen plötzlich ein Meer aus roten Bremslichtern, während sich hektisch Polizeisirenen einen Weg durch die Geräuschkulisse aus Regen und Autohupen bahnten. »Scheiße!«, fluchte Silas leise vor sich hin. »Schau, vielleicht benutzt der Zirkel das Blut deines Bruders. Vielleicht ist das Ganze eine Art Spiel, das ich nicht kapiere. Magiebesessene vermögen scheiße viel, und du bist nicht durch das Zeichen des heiligen Andreas geschützt wie wir.«
»Aber mich bei irgendwelchen wildfremden Menschen zu lassen …«
»Wenn das nötig ist, damit du in Sicherheit bist«, begann er, doch Jessie lachte bitter. Silas umklammerte das Lenkrad fester.
»Ach Scheiße, hör sich das einer! Du klingst wie der große Held, der das kleine Mädchen rettet und dann einsam und allein stirbt.«
»Ich werde aber nicht sterben.«
»Das weißt du doch gar nicht!«, gab sie zurück. »Du bist doch derjenige, der mir die ganze Zeit erzählt, wie böse Hexen sind und …«
»Erzählt?« Seine Faust schoss vor und packte Jessies Haar, dass sie aufkeuchte. Erschreckt sah sie ihn an. »Warst du nicht dabei, als die Hexe dir die Kehle angeritzt hat?«
Jessie wand sich unter seinem Griff, zuckte zusammen, als Silas nicht nur an ihrem Haar zerrte, sondern damit auch an der Haut unter dem Kinn mit der gerade frisch verschorften Wunde. »Du tust mir weh!«
»Nein, ich nicht!«, schoss er zurück und betonte wütend jede einzelne Silbe. Jessie musste es jetzt endlich begreifen. Es musste in ihren eigensinnigen Schädel, verdammt! »Aber sie werden dir wehtun, Jess! Schlimmer noch: Sie werden dich umbringen. Wenn Magiebesessene etwas haben wollen, kennen sie keine Grenzen. Kapierst du das nicht?«
Weil Jessie nun einmal Jessie war, rammte sie Silas einen spitzen Ellenbogen in den Arm. Fluchend ließ er sie los.
Gegen seinen Willen war er stolz auf sie.
Und scheiße angepisst.
»Ich hab’s kapiert, okay? Habe ich wirklich. Ich weiß, was du mir sagen willst.« Sie rieb sich den Ellenbogen. »Manche Magiebegabte sind böse. Okay, bitte schön! Du willst mich zu meinem eigenen Schutz bei irgendwelchen mir unbekannten Leuten lassen, großartig! Wirklich edel von dir, hilfreich und gut! Aber der Zirkel will mich , Silas. Ich bin also der direkte Weg zum Zirkel. Die ganze Sache wäre viel schneller erledigt und vorbei!«
»Diese Bethany-Schlampe hat was von Macht und Einfluss gefaselt.« Silas’ Finger umklammerten das Lenkrad, verkrampften sich darum. »Ich werde dich nicht irgendwelchen Machtspielchen opfern, die im Zirkel laufen. Vergiss es!«
»Aber ich könnte doch …«
»Nein, und das ist mein letztes Wort!«, fiel Silas Jessie in den kaum halb herausgebrachten Satz, hob abwehrend die Hand. »Es ist mir scheißegal, ob ich dich zu einem Bündel verschnüren und deinen tätowierten Arsch das ganze Karussell nach oben schleifen muss: Du gehst dorthin, nach oben, und damit Schluss!«
Der abweisende Zug um Jessies Mundwinkel verhärtete sich. Ohne ein weiteres Wort rutschte sie in ihrem Sitz so weit weg von Silas wie möglich. Jede Faser in ihrem Körper signalisierte »Verpiss dich bloß!«, und Silas wusste, dass er es verdient hatte.
Er schnitt eine Grimasse und blickte wütend hinaus auf die Straße.
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