DARK MISSION - Fegefeuer
sie.
Silas hielt vor allem Jessie fest, die immer noch reglos in seinen Armen lag. Er klemmte die Knie steuer- und backbord unter den Bordwandrand und spähte über den Bug hinweg voraus. Weiße Gischt krönte die Wellen der plötzlich wilden Strömung. Massiver Fels säumte das Fahrwasser des Kanus zu beiden Seiten, zerklüftete Klippenwände.
Das alles bemerkte Silas, und dass die Frau, ihre Retterin, ihn angrinste und dabei das Paddel aus dem Wasser zog. »Es wird gleich etwas holprig!«
Silas starrte sie an. »Wer sind Sie?«, verlangte er zu wissen.
»Später.« Groß und schmal, wie sie war, lenkte sie ihr Boot geschickt durch die Strömung. Dabei tauchte sie das Paddel geübt und rhythmisch ins Wasser, als das Kanu Fahrt aufnahm. Das dichte rote Haar floss der Frau in teils gischtfeuchten Strähnen über die Schultern; einige der Strähnen in ihrem Schopf waren schon mit Grau durchsetzt.
Sie könnte genauso gut siebzig wie fünfzig sein. Bei einer Altersschätzung waren zwanzig Jahre ein bisschen viel Spannbreite. Aber es gelang Silas nicht, das Alter der Frau genauer zu bestimmen. Die Zeit hatte die Gesichtszüge der Rothaarigen geformt, doch war ihr Gesichtfein geschnitten. Die Krähenfüße um ihre Augen, Lachfalten, waren tief hineingegraben in dieses Gesicht. Das bemerkte er erst jetzt, da die Frau die Augen vor dem heller werdenden Sonnenlicht zusammenkniff. Wenn sie wie jetzt breit grinste, sah man auch tiefe Lachfalten um ihren Mund.
Vielleicht wollte sie ihn mit dem breiten Grinsen beruhigen. Aber als Silas die Frau anstierte, ihre Öljacke und die viel zu große Jeans, fühlte er sich alles andere als beruhigt.
Wer war diese Person? Wohin brachte sie Jessie und ihn?
Und wo zum Henker waren sie überhaupt?
Noch enger schlang Silas die Arme um Jessie. »Sagen Sie mir, wer Sie sind!«, verlangte er noch einmal. Ein »Bitte!« kam ihm über die Lippen, ehe er es verhindern konnte.
Die Falten um den Mund der Frau wurden tiefer, als sie erneut grinste. Dieses Mal schien sie amüsiert. »Gut, ganz wie du willst! Ich heiße Matilda.« Die Frau hob die Stimme, um das Rauschen des Wassers zu übertönen. »Bei mir bist du sicher. Ich habe einen warmen Platz am Feuer und etwas zu essen anzubieten. Und praktisch alles, was es braucht, um euch zwei zusammenzuflicken.«
Worte wollten Silas nicht so recht über die sich schwer anfühlende Zunge. Als wäre sie nicht gemacht zum Reden. Er versuchte es trotzdem. »Ich …« Tja, was? Was hatte er zu bieten? Nichts. Mit einer Hand packte er die Bordwand, als das Kanu heftig schaukelte. »Silas«, sagte er dann. »Und das hier ist Jessie. Danke für die Hilfe!«
Matilda grinste. Ihr Gesicht bekam tausend Falten und Fältchen wie zerknittertes Papier. »Bedank dich lieber noch nicht! So dolle wie im Hotel ist es nicht bei mir.«
Silas schnitt eine Grimasse. »Wir haben kein Geld«, setzte er an. Im nächsten Augenblick stöhnte er in einer Mischung aus Schmerz und Überraschung auf. Denn das Boot sprang über einen Wellenkamm und kam hart wieder auf dem kabbeligen Wasser auf. Beim Aufschlagen knallte Silas’ Knie gegen die Stahlkante der Bordwand.
Matilda federte das Hüpfen des Bootes auf den Wellen ab, hob dasPaddel und tauchte es sauber und gekonnt wieder ins Wasser. »Mach dir mal deswegen keine Sorgen!«, meinte sie und legte ihre ganze Kraft ins Paddel, um das Boot zu steuern. »Ich nehme, was ich kriegen kann, und ihr zwei habt mehr zu geben, als ihr glaubt. Und los geht’s!« Heftig warf es das Kanu hin und her, es ächzte und knarzte, als Matilda es aus der Strömung steuerte.
Silas umklammerte Jessies Körper und runzelte die Stirn, als er die Klippenwand näher kommen sah. Der zerklüftete, scharfkantige Fels kam ihnen verflucht noch mal viel zu nah! »Das Boot …!«
»Still jetzt!« Matilda beobachtete die Felswand mit Argusaugen. Sie hob das Paddel, tauchte es auf der anderen Seite des Kanus ins Wasser und ruderte, unterstützt durch den langen Schaft, kräftig zurück.
Sie waren beschissen noch mal zu nah am Fels! Innerlich bereitete sich Silas darauf vor, wieder im Wasser zu landen, als das Boot mit der Steuerbordseite an der Klippe entlangschrappte. Metall kreischte an Fels entlang. Das Kreischen wurde schriller und lauter, ein Protestgeschrei, und Silas biss die Zähne zusammen und spannte alle Muskeln an.
Da, ganz plötzlich, ließ der Druck nach, und es warf Silas erneut gegen die Bordwand. Eine Spalte im Fels tat sich in der
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