Dark Moon
Hand und versuchte ein Lächeln. Ich ließ das Telefon sinken und konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Emilia schüttelte den Kopf. Ich wusste, dass die Geste mir galt, und wollte etwas darauf erwidern, als es plötzlich klingelte. Ich legte ihren Kopf wieder vorsichtig auf dem Boden ab und lief zur Haustür. Ein Notarzt und zwei Sanitäter stürzten herein.
»Sie liegt da hinten«, rief ich und deutete in Richtung Küche.
Der Arzt kontrollierte mit dem Stethoskop Emilias Puls. Schließlich steckte er das Instrument zurück in seinen Koffer. Er blickte auf seine Armbanduhr und stand auf. Dann gab er den Sanitätern ein Zeichen. Sie legten Emilia auf eine Trage, schnallten sie fest und trugen sie hinaus.
»Sie ist tot, nicht wahr?«, fragte ich.
Er nickte. »Es tut mir leid. Sind Sie die Tochter?«
»Nein, ich bin… war eine Freundin. Sie hatte ein Aneurysma«, fügte ich hinzu. »Inoperabel.«
»Ich verstehe.« Einen Moment lang blieb er ratlos stehen, dann holte er ein Formular aus seinem Arztkoffer. »Sie müssen leider noch etwas ausfüllen.«
Wir setzten uns an den Tisch, den Emilia für sich und mich gedeckt hatte. Der Arzt wollte den Teller beiseiteschieben, doch als er meinen Blick bemerkte, setzte er sich auf einen anderen Platz, an dem nicht gedeckt war. Unter seinen Schuhen knirschte das Glas der eingeschlagenen Scheibe.
Im Grunde konnte ich ihm nicht viel mehr sagen als Emilias Namen. Ich wusste nicht, wann sie geboren war, kannte weder ihre Sozialversicherungsnummer noch den Namen ihrer Krankenversicherung. Ich unterschrieb und der Mann verabschiedete sich. Ohne Blaulicht fuhr der Krankenwagen davon. Stille kehrte ein. Ich wollte mich setzen, als mein Blick auf das Telefon fiel, das auf dem Boden lag und noch immer Verbindung zu meiner Mutter hatte.
»Mom?«, rief ich.
»Ich bin noch dran. Mach dir keine Sorgen«, sagte sie. »Ich habe alles mitbekommen.«
Plötzlich fiel die Anspannung von mir ab und ich brach wieder in Tränen aus. Mit zitternden Knien setzte ich mich auf einen Stuhl. »Was soll ich jetzt tun?«, fragte ich.
»Du wartest auf mich«, sagte meine Mutter. »Ich habe eine Kollegin gebeten, die Schicht für mich zu übernehmen, und bin jetzt auf dem Weg zum Auto. In einer Dreiviertelstunde bin ich bei dir. Möchtest du das Telefon anlassen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Du sollst nicht wegen mir noch einen Unfall bauen.«
»Dann bis gleich.« Ein leises Klicken, und meine Mutter hatte aufgelegt.
Benommen legte ich das Telefon auf den Tisch und schaute mich um. Die Scheibe. Ich musste die Scherben zusammenfegen. Mit tauben Beinen stand ich auf und wankte in die Küche, wo ich einen Handfeger suchte. Auf dem Herd stand ein Topf mit Suppe. Einige Zutaten schwammen schon in der Brühe, es hatten wohl nur noch die Schalotten gefehlt, die Emilia gerade klein geschnitten hatte, als der Anfall sie überraschte. Ich bückte mich und hob das Messer auf, um es neben das Schneidebrett zu legen. Ich ging zurück zum Tisch und setzte mich. Ich weiß nicht, wie lange ich so dagesessen und auf den leeren Teller gestarrt hatt e , aber plötzlich stand meine Mutter vor mir.
»Die Tür war auf«, sagte sie leise.
Ich war wie gelähmt.
»Darf ich mich zu dir setzen?«, fragte sie.
Ich nickte stumm.
»Es muss schrecklich für dich gewesen sein«, sagte sie.
»Sie war wach«, sagte ich tonlos. »Emilia konnte nichts mehr sagen, aber ihr Blick…« Ich schluckte. »Sie wusste, dass sie sterben würde.«
»Und sie hatte Glück, dass du bei ihr warst.« Nun hatte auch meine Mutter Tränen in den Augen. »Ich bin stolz auf dich.«
»Stolz? Dafür gibt es keinen Grund.«
»Doch. Man braucht viel Mut, um einem Menschen beizustehen, der stirbt. Nicht jeder hat diesen Mut. Glaub mir. Ich weiß, wovon ich spreche.« Sie stand auf und umarmte mich.
Dann räumten wir gemeinsam die Küche auf. Als der letzte Teller abgetrocknet war, hängte ich das Geschirrtuch auf. Die beiden Orchideen standen jetzt auf der Fensterbank. Ich wollte sie nicht mitnehmen, denn sie gehörten hierher.
Meine Mutter hatte den Gartenstuhl, den ich zuvor in die Scheibe geworfen hatte, wieder auf die Terrasse gestellt und einen Glaser angerufen, der das Fenster austauschen sollte.
»Ich werde auf ihn warten«, sagte sie. »Möchtest du schon nach Hause?«
Ich blickte auf meine zitternden Hände und lachte nervös. »Besser nicht, sonst fahre ich noch gegen einen Baum. Aber sag mir doch bitte noch eines: Wann
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