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Dark Moon

Dark Moon

Titel: Dark Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Knightley
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ist Emilia zu dir gekommen?«
    Die Frage kam so unvermittelt, dass meine Mutter überrascht aufblickte. »Einen Tag nach ihrem Einzug.«
    »Wieso ist sie gerade zu dir gegangen?«, fragte ich.
    Mom zuckte mit den Schultern. »Ich vermute, du hattest ihr erzählt, dass ich Ärztin bin. Weißt du, ob M s Frazetta Angehörige hat, die wir benachrichtigen sollten?«
    Mir fiel der Mann wieder ein, den Mark und ich mit ihr am Strand gesehen hatten. Nun bekam die Verzweiflung jener Nacht eine ganz neue Bedeutung: Emilia hatte gewusst, dass sie bald sterben würde. Jeder neue Tag war ein kleiner Abschied gewesen.
    »Sie hat mir nie was von Verwandten erzählt«, sagte ich.
    Meine Mutter stand seufzend auf. »M s Frazetta hatte sicher ein Arbeitszimmer. Lass uns dort nachsehen.«
    Da das Haus an einen Hang gebaut war, befanden sich alle weiteren Wohnräume im Mittelgeschoss, wo wir nacheinander alle Türen öffneten. Dabei wurde uns klar, weshalb Emilia dieses riesige Haus gebraucht hatte: In den meisten Räumen standen Blechschränke mit Schubladen, die so geräumig waren, dass man großformatige Bilder darin lagern konnte.
    Emilias Schreibtisch stand in Marks ehemaligem Zimmer, das nun eine Bibliothek war. »Bringen wir es hinter uns.« Mom setzte sich in den Ledersessel vor einem wuchtigen Schreibtisch, auf dem ein aufgeklapptes Notebook stand.
    »Wonach suchen wir?«, fragte ich.
    »Nach einem Adressbuch oder etwas Ähnlichem.« Mom durchsuchte die Schubladen, während ich den Rechner einschaltete und wartete, bis er hochgefahren war.
    »Der Eingangsordner des Mailprogramms ist leer.« Ich klickte mich durch die Einstellungen. »Sie hatte noch nicht mal einen Account.«
    »Ich kann auch nichts finden.« Meine Mutter schob frustriert die leeren Schubladen des Schreibtischs wieder zu.
    »Vielleicht hat sie ihre Unterlagen ja ganz woanders aufbewahrt.«
    Mom nickte und stand auf. »Nimmst du dir den Keller vor? Ich schaue mich in den anderen Räumen um.«
    Ich wollte das Zimmer gerade verlassen, als mein Blick auf eines der riesigen Bücherregale fiel. Emilia war keine Romanleserin gewesen, so viel war klar. Die meisten ihrer Bücher waren teure Bildbände über Fotografie und Malerei des zwanzigsten Jahrhunderts. Nur ein kleines, schmales Buch, aus dem ein halbes Dutzend gelber Post-its herausschaute, schien nicht in diese Sammlung zu passen. Es war ein stockfleckiges, in Leinen gebundenes Exemplar aus den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts und handelte von den Sagen der nordamerikanischen Westküstenstämme. Ganze Passagen waren markiert und mit Anmerkungen versehen worden, am Rand tauchten immer wieder dicke Ausrufezeichen auf. Ich zögerte. Doch dann steckte ich das Buch ei n – obwohl ich mir wie eine Diebin vorkam. Meine Neugier war einfach zu groß.
    Es klingelte wieder.
    »Das wird der Glaser sein«, rief Mom. Sie lief die Treppe hinauf und öffnete die Haustür.
    Während von oben der Lärm der Reparaturarbeiten zu hören war, stieg ich die Kellertreppe hinunter, wo sich die Heizungsanlage und der Wäscheraum befanden. Wie in allen anderen Etagen waren auch hier die Türen unverschlosse n – alle, bis auf eine.
    In diesem Raum hatte Marks Vater in besseren Zeiten seine teuren Weine aufbewahrt. Wie seine Kunstschätze waren auch die Flaschen an Sammler verkauft worden, um die Schulden zu begleichen. Der Wein hatte in einem fensterlosen, mit Ziegelsteinen ummauerten Gewölbe gelagert, das extra zu diesem Zweck gebaut worden war. Der Weinkeller musste jetzt also leer sein. Trotzdem war er zu meinem Erstaunen verschlossen.
    Vielleicht hatte Emilia dort ihre privaten Unterlagen verstaut, aber das konnte ich mir nicht vorstellen. Dazu war es hier unten eigentlich zu feucht.
    Ich kriege nicht so schnell Angst. Selbst als kleines Kind habe ich mich nie vor der Dunkelheit gefürchtet. Doch als ich mich der schwarz lackierten Stahltür näherte, bekam ich eine Gänsehaut. Mein Herz schlug schnell, das Blut rauschte mir in den Ohren. Ich nahm die Klinke in die Hand. Die Kälte durchfuhr mich wie ein eisiger Blitz.
    Lydia?
    Ich konnte mich nicht rühren. Von jenseits der Tür glaubte ich, ein Wispern zu hören.
    Lydia? Wo bist du?
    Die Stimme klang traurig, gleichzeitig aber war sie voller Angst und Zorn. Ich atmete schwer. Das eisige Gefühl wurde beinahe unerträglich, trotzdem legte ich ein Ohr an die Tür und horchte. Auf einmal erfüllte mich eine unbekannte Sehnsucht.
    »Lydia!« Eine Hand legte sich auf meine

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