Dark Moon
rief. Autodiebstahl war eine Sache, das unerlaubte Töten von Wildtieren eine ganz andere.
Ich wollte gerade wieder zurück zum Auto laufen, wo mein Telefon noch immer auf dem Beifahrersitz lag, als mich ein leises Stöhnen zusammenfahren ließ. Mein Herz setzte für einen Schlag aus. Eine innere Stimme beschwor mich, diesen grauenvollen Ort zu verlassen, doch meine zitternden Beine gehorchten mir nicht mehr. Wie angewurzelt blieb ich stehen. Der Regen setzte wieder ein und ich begann zu frieren. Ein klagendes Flüstern erfüllte die Luft. Vorsichtig drehte ich mich im Kreis.
»Hilf mir!«
Ich erstarrte und wagte kaum zu atmen.
»Bitte. Hilf mir!«
Ich konnte mir nicht erklären, woher die Stimme kam. Und obwohl aus ihr nichts als Verzweiflung sprach, rann mir ein kalter Schauer über den Rücken.
»Hören Sie!«, rief ich und schluckte. Mein Mund war wie ausgetrocknet. »Ich weiß nicht, wer Sie sind, aber ich weiß, was Sie getan haben. Ich habe ein Telefon dabei und werde die Polizei anrufen!«
Das Stöhnen wurde lauter. Und dann sah ich etwas, was mich aufschreien ließ. Aus einem Haufen welker Kiefernadeln, ausgeblichenem Moos und lockerer Erde reckte sich kraftlos eine Hand in die Höhe. Die Haut war schmutzig, gerötet und von Brandblasen überzogen.
»Bitte«, flüsterte die Stimme. »Hilf mir. Sonst sterbe ich.«
Ich zögerte einen Moment, doch dann war mein Mitleid stärker als meine Angst. Mit bloßen Händen grub ich mich durch den Drec k – bis ich das Gesicht sah, das von einem Ausschlag entstellt war. Die fiebrig tränenden Augen starrten mich angstvoll an, der Mund war eine einzige Wunde. Das schwarze Haar klebte nass am knochigen Schädel.
»Oh mein Gott«, flüsterte ich. Obwohl die Ähnlichkeit kaum noch vorhanden war, erkannte ich den Mann wieder. Es war Emilias geheimnisvoller, schöner Liebhaber! Aber der Glanz seiner Erscheinung war dahin.
»Ich rufe einen Krankenwagen«, sagte ich und wollte aufspringen, um mein Telefon zu holen, aber die Hand hielt mich fest. Verzweifelt schüttelte der Mann den Kopf.
»Keinen Krankenwagen, bitte«, krächzte er und verfiel sofort in ein gurgelndes Husten.
Ich löste seine Hand von meinem Arm. »Willst du riskieren zu sterben? Du bist vollkommen unterkühlt. Und dieser Ausschla g …«
»Ich muss nur ins Dunkle«, unterbrach er mich flüsternd. »Dann geht es mir sofort besser.« Mühsam kam er auf die Beine. Schwacher Rosenduft stieg mir in die Nase. Der Fremde trug schwarze Hosen und ein schwarzes T-Shirt mit drei lang gezogenen Rissen auf der Brust. Ich zögerte einen Augenblick, doch dann legte ich mir den Arm des Fremden um die Schultern und umfasste seine schmalen Hüften. Es war, als hielte ich einen Toten, so kalt war der geschwächte Körper.
Wir kamen nur äußerst mühsam voran. Immer wieder brach er zusammen, sodass wir auf den schlammigen Boden sanken. Ein rascher Blick in seine grünen Augen sagte mir, dass inzwischen fast alles Leben aus ihnen gewichen war.
Ich überlegte kurz, ob ich nicht den Pick-up nehmen sollte, doch dann hätte ich meinen Käfer auf dem Parkplatz stehen lassen müssen. So schloss ich den Nissan ab und schleppte den Mann zu meinem Cabrio. Auch wenn es mir gelungen wäre, den Beifahrersitz nach vorne zu klappen, ohne dabei den Griff um die Hüfte des Fremden zu lockern, hätte ich ihn niemals alleine auf die Rückbank legen können. Also schnallte ich ihn, so gut es ging, vorne auf dem Beifahrersitz an und fuhr los.
Als wir uns Vancouver näherten, ließ der Regen nach und es wurde heller. Immer wieder brach die Sonne durch die Wolkenlücken. Jedes Mal, wenn ihn ein Lichtstrahl traf, stöhnte der Mann unter heftigen Schmerzen auf. Unter seiner Haut schien es regelrecht zu arbeiten. Der Rosenduft hatte sich mittlerweile ganz verflüchtigt.
»Ob du willst oder nicht, ich werde dich jetzt ins General Hospital bringen«, sagte ich entschlossen.
»Nein! Alles, nur das nicht!«, schrie er.
»Ich habe miterleben müssen, wie Emilia gestorben ist«, schrie ich zurück. »Das war nicht schön, glaub mir. Ein zweites Mal will ich so was auf keinen Fall erleben!«
Plötzlich entspannte sich der Körper meines Beifahrers. Er wandte mir sein entstelltes Gesicht zu und starrte mich mit großen Augen an.
»Du warst bei ihr?« Er sprach so leise, dass ich ihn kaum verstehen konnte.
Ich nickte. »Ich weiß, wer du bist. Ich habe dich mit ihr am Leuchtturm gesehen. Da kamst du mir aber bedeutend gesünder
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