Dark Moon
ich.
»Geliebter. Gefährte. Seelenfreund. Nenn es, wie du willst. Ja, es stimmt. Wir waren ein Paar.«
Mom hatte sich wieder gefasst. Sie untersuchte unseren Gast ein zweites Mal. »Sie sind noch immer unterkühlt«, sagte sie ruhig und betastete vorsichtig die Wunde auf seiner Brust. »Und das muss genäht werden, sonst bleiben hässliche Narben zurück.«
»Ich werde mich selbst um die Verletzungen kümmern, wenn es mir besser geht«, sagte der Mann mit schwerer Stimme. »Aber seien Sie mir nicht böse, wenn ich keine weiteren Fragen mehr beantworte. Ich habe den ganzen Tag nicht geschlafen.«
»Wo ist Dad?«, flüsterte ich.
»Noch in der Redaktion. Er wird vor morgen Früh nicht nach Hause kommen«, antwortete Mom leise. »Er ist ein netter Kerl.«
»Wer?«, fragte ich verwirrt. »Dad?«
»Quatsch«, lachte Mom und schlug mir spielerisch auf den Arm. »Der da vor uns!« Sie zeigte auf den Fremden, der auf drei gestapelten Badematten lag. »Wir sollten ihn hier schlafen lassen.«
»Mom?«, fragte ich ungläubig. »Ist alles in Ordnung mit dir?«
»Natürlich«, sagte sie und stand auf, einen kurzen Moment lang schwankte sie. Benommen fasste sie sich an die Stirn. »Ich glaube, ich muss mich kurz hinlegen.«
Ein kalter Schauer erfasste mich. Genauso hatten meine Eltern reagiert, als sie Charles Solomon in Emilias Haus eingelassen hatten. Und am anderen Tag hatten sie sich an nichts erinnern können.
»Ich begleite dich nach oben«, sagte ich.
Mom hob abwehrend die Hand. »Nein, ist schon gut. Ich bin keine alte Frau. Ich schaff das schon.« Verwirrt blickte sie den Kranken an. An irgendetwas oder irgendwen schien er sie zu erinnern. Ein zweiter Schwächeanfall überkam sie.
»Mom! Bitte!« Ich wollte sie stützen, doch sie schaute mich an wie eine Fremde. Dann ging sie, ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, nach oben.
»Emilia hatte Recht. Du bist etwas Besonderes.« Seine Stimme kam von weit her, als befände er sich an der Schwelle des Schlafs.
Ich kniete nieder und schob mein Gesicht nah an das des Mannes. »Was hast du mit meiner Mutter gemacht?«
»Es geht ihr gut, kein Grund zur Sorge. Sie wird schlafen. Und wenn sie morgen aufwacht, wird sie sich nicht mehr an mich erinnern. Ich hatte gehofft, dass auch du empfänglich für diesen kleinen Trick bist.«
»Wer bist du?«, fragte ich wütend.
»Mein Name ist Jack Valentine«, sagte er. »Und ich bin hundemüde.« Jack schloss die Augen und verschränkte die Hände vor der Brust.
»Was?«, fuhr ich ihn an. »Nach allem, was heute geschehen ist, willst du jetzt einfach schlafen?«
Aber er antwortete mir nicht mehr.
Was sollte ich jetzt tun? Ihn einfach so liegen lassen? Das Vernünftigste wäre, tatsächlich die Polizei zu rufen, aber das würde mich den Antworten auf meine Fragen kein Stück näherbringen. Und wenn er wirklich unter einer Lichtallergie litt, würde sich sein Leiden im Knast der hiesigen Polizeistation ganz bestimmt nicht bessern. Ich setzte mich auf eine Werkbank und betrachtete Jack genauer.
Einige Wunden waren bereits verheilt. Wie konnte das so schnell geschehen, ganz ohne ärztliche Behandlung? Inzwischen sah Jack wieder jenem Mann ähnlich, den Mark und ich am Leuchtturm gesehen hatten. Sein schwarzes Haar schimmerte bläulich, sein Gesicht schien wieder voller. Ich lachte ungläubig. Wer immer dieser Typ war, ein medizinisches Wunder war er auf jeden Fall. Der kleinste Sonnenstrahl versengte ihn, aber seine Brandwunden verschwanden wie von Zauberhand.
Erst jetzt fiel mir auf, dass Jack noch jünger war, als ich zunächst vermutet hatte. Er war auf keinen Fall vierzig, nicht einmal dreißig, sondern eher Anfang zwanzig. Seine arg ramponierten Kleider mussten einmal recht teuer gewesen sein. Die Hose und das Hemd waren ganz bestimmt nicht von der Stange. Die schwarzen, spitzen Schuhe waren so retro, dass sie fast schon wieder cool aussahen. Als ich ihn aus dem Erdloch herausgezogen und zum Auto geschleppt hatte, hatte er sich mager und knochig angefühlt. In der Zwischenzeit hatte Jack Valentine auf unerklärliche Weise an Gewicht zugelegt. Seine Brust spannte sich breit und muskulös unter dem Hemd. Rosenduft erfüllte den Raum. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass dieser schöne, friedlich schlafende Mann all die Tiere getötet haben sollte. Wie konnte er so grausam sein? Was war sein Motiv? Und woher nahm ein Mensch den Mut, allein einen Bären anzugreifen?
Ich musste über mich selbst lachen. Was waren
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