Dark Moon
verfahren.«
»Deine Großmutter ist zusammengebrochen?«, fragte Mark erschrocken.
»Nichts Schlimmes. Sie hat nur ihr Gipsbein zu stark belastet.«
»Ach so«, erwiderte er beruhigt. »Also hör zu: Laut Forbes gehört Solomon zu den fünfzig reichsten Amerikanern, aber keiner weiß genau, womit er sein Geld macht. Die Gewinne seiner Anwaltskanzlei, so groß und einflussreich sie auch sein mag, sind jedenfalls nicht hoch genug. Man vermutet, dass er Verbindungen zum organisierten Verbrechen hat, doch bisher konnte man ihm nichts nachweisen. Es geht dabei wohl in erster Linie um Geldwäsche. Besonders spannend wird es, wenn man sich seinen Lebenslauf anschaut. Er ist der klassische Aufsteiger. Sein Geburtsdatum wie auch sein Geburtsort sind nicht bekannt. Angeblich soll er aus Boston stammen. Ein Reporter von CBS, der vor einigen Jahren mehr über Solomon herausfinden wollte, ist 2002 bei seinen Recherchen in der Nähe von Baton Rouge, Louisiana, spurlos verschwunden. Seinen Wagen hat man aus dem Sumpf gezogen, eine Leiche ist bis heute nicht aufgetaucht.«
Baton Rouge. 2002. War das nicht das Jahr, in dem auch Emilia dort gelebt hatte? Das Präzisionsgewehr kam mir wieder in den Sinn.
»Menschen, die ihn kennen, beschreiben ihn als charismatische Führungsperson«, fuhr Mark fort. »Er hat noch kaum einen Fall verloren. Richter folgen in den meisten Fällen seiner Argumentation.«
»Besticht er sie?«
»Wenn er es tut, ist er so geschickt, dass er sich nie dabei erwischen lässt.«
Oder ihm standen andere Mittel zur Verfügung. Ich musste an meine Eltern denken. Sie hatten Solomon gegen ihren Willen in Emilias Haus gelassen.
»Danke«, sagte ich. »Du hast was gut bei mir.«
»Das will ich doch hoffen. Wo bist du eigentlich gerade?«
»Auf einem Parkplatz an der Neunundneunzig, kurz vor Strachan Creek.«
»Wie kommst du denn dahin?«
Ich seufzte. »Frag nicht. Ich war mit meinen Gedanken ganz woanders und dann bin ich in dieses Unwetter geraten. Hör zu, ich rufe heute Abend noch mal an. Ist das okay?«
»Mach dir keine Gedanken«, sagte Mark. »Bis dann.«
Mittlerweile hatte der Regen so weit nachgelassen, dass ich weiterfahren konnte. Ich drehte den Zündschlüssel um und wollte wende n – da sah ich ihn.
Der Nissan-Pick-up stand nicht auf dem Parkplatz, sondern ein Stück im Wald. Er wurde teilweise von einem Busch verdeckt. Für einen Moment spielte ich mit dem Gedanken, die Polizei anzurufen. Immerhin war dieses Auto als gestohlen gemeldet worden.
Ich muss zugeben, dass mir das Herz bis zum Hals schlug. Außer mir und meinem Käfer war der Parkplatz leer. Wenn der Kerl, der sich den Nissan unter den Nagel gerissen hatte, noch in der Nähe war, hatte ich denkbar schlechte Karten. Niemand würde mir zu Hilfe kommen.
Die Luft war nach dem Regenguss gesättigt mit dem Aroma von Moosen und Farnen, Douglasien und Scheinzypressen. Nebel stieg auf. Die Neunundneunzig, die hinauf nach Squamish führte, war so gut wie leer. Nur ab und zu brauste ein Pkw oder ein Truck vorbei, meist unterwegs in den Süden, Richtung Vancouver.
Die Fahrertür des Transporters stand einen Spaltbreit auf. Der Fußraum war nass, ebenso das Polster des Sitzes. Der Schlüssel steckte noch. Ich zog ihn ab und drückte leise die Tür zu. Dann ging ich um den Wagen herum.
Auf der Ladefläche lag der Dachkoffer. Sein Deckel war zerborsten. Die Reste wurden von den Spanngurten festgehalten, die ich am Tag von Emilias Umzug auf dem Beifahrersitz gesehen hatte. Der Dieb des Pick-ups war nirgends zu sehen.
Vorsichtig folgte ich dem Weg ein Stück weiter in den Wald hinein. Der Wind rauschte in den Bäumen, Tropfen fielen wie verzögerter Regen von den Nadeln der Fichten. Ein Surren erfüllte die Luft. Zuerst tippte ich auf Mücken, die dieses feuchte Wetter lieben, doch dazu war das Summen zu tief.
Als Erstes nahm ich den Geruch wahr. Er war metallisch, auf einmal hatte ich einen Eisengeschmack auf der Zunge. Dann sah ich den Bärenkadaver. Mit einem spitzen Schrei wich ich zurück und stolperte über einen Baumstamm, der hinter mir auf dem Boden lag.
Der Bär war in einem erbärmlichen Zustand. Sein Kopf war unnatürlich verdreht und am Hals klaffte eine breite Schnittwunde, auf der Myriaden von Fliegen herumkrochen. Und noch etwas fiel mir auf: Im Gegensatz zu den Orten, an denen man Vincent, Bruno und das Pferd gefunden hatte, war hier alles voller Blut. Vielleicht war es doch keine schlechte Idee, wenn ich die Mounties
Weitere Kostenlose Bücher