Dark Moon
waren Fackeln aufgestellt, ein großes Lagerfeuer brannte und in seinem Schein zeichneten sich die Schatten menschlicher Gestalten ab. Etwa zwanzig Zelte bildeten einen Kreis um die Feuerstelle.
Mark deutete auf eine zweite Lichtung, die näher an der Straße lag. Dort stand neben dem schwarzen Toyota auch eine Reihe von Lieferwagen. »Was haben die geladen?«
Ich erstarrte, als ich die langen Behälter erkannte. »Dachkoffer«, wisperte ich. »Und zwar verdammt viele! Mark, wir müssen von hier verschwinden!«
»Aber warum?«, fragte er. »Darin haben sie bestimmt ihre ganze Ausrüstung hertransportiert.«
Bevor ich etwas sagen konnte, hatte er sich schon weiter an das Lager herangeschlichen. »Mark, was tust du da?«
»Da vorne ist mein Vater«, sagte er, während er auf einen Mann deutete, den ich im ersten Moment nicht erkannte. George Dupont war schlank, beinahe dünn. Selbst in seiner North-Face-Jacke sah er wie ein durchtrainierter Endvierziger aus. Neben ihm stand eine Frau, hochgewachsen, mit langem, rotem Haar, das ihr bis auf die Schultern fiel. George Dupont schien sie geradezu anzubeten. Nervös tänzelte er von einem Bein auf das andere, während sie vollkommen verzückt zusah, wie sich die anderen Männer und Frauen vor dem Feuer versammelten. Über allem lag eine feierliche Stimmung. Mittlerweile war es stockdunkel. Myriaden von Sternen leuchteten über uns und der Vollmond stand hoch am Firmament.
Ein Gong wurde geschlagen, dessen Nachhall von einem vielstimmigen Summen weitergetragen wurde. Nach und nach wurden die Dachkoffer in den Kreis getragen. Jedem Mann, jeder Frau wurde eine der Boxen zugewiesen. Der Gong ertönte ein zweites Mal.
»Was geht hier vor?«, fragte Mark entsetzt.
»Sie ziehen sich aus«, sagte ich. Eine innere Stimme befahl mir, diesen Ort so schnell wie möglich zu verlassen, aber ich konnte die Augen nicht von der rätselhaften Zeremonie abwenden.
Als alle ihre Kleider abgelegt hatten, wurden die Behälter geöffnet.
»Oh, mein Gott«, flüsterte Mark.
»Du wolltest Vampire sehen, hier hast du sie«, flüsterte ich mit rauer Stimme.
Einer nach dem anderen kam aus seiner Box gekrochen. Alle waren unbekleidet. Der Wind stand so, dass er zu uns herüberwehte. Der Geruch von Blumen, Früchten und feuchter Erde war so überwältigend, dass mir beinahe übel wurde. Mark schien von all dem nichts wahrzunehmen, aber allein der Anblick, der sich uns bot, betäubte auch ihn.
Die Gestalten auf dem Platz bewegten sich langsam und würdevoll. Jeder Schritt, jede Geste schien genau einstudiert. Die Nachtwesen hatten straffe, junge Körper, Haltung und Gang waren aufrecht. Die versammelten Männer und Frauen hingegen waren deutlich älter, ihre Glieder weicher und ihre Gesichter älter.
Als der Gong ein drittes Mal ertönte, traten die Vampire auf die Menschen zu. Manche wichen daraufhin einen Schritt zurück, aber keiner von ihnen floh. Menschen und Vampire umarmten einander.
Mir fiel auf, dass Marks Vater nicht unter den Teilnehmern der Zeremonie war. Er musste seine Verbindung mit der schönen Vampirin schon früher besiegelt haben. Sie sprach gerade in schrillem Ton mit dem Mann, dem wir gefolgt waren und der jetzt sichtlich eingeschüchtert zusammen mit Dr . Miyazaki die schweren Dachkoffer wieder fortschaffte.
»Sie muss wahnsinnig sein«, stellte auch Mark fest, der sie anscheinend ebenfalls beobachtet hatte.
»Und sie hat deinen Vater vollkommen im Griff«, sagte ich.
»Oh ja«, seufzte Mark. »Sie führt ihn an der kurzen Leine und er genießt es.« Tatsächlich folgte ihr George Dupont wie ein braves Hündchen seiner Herrin.
Plötzlich knackten hinter uns Zweige, Laub raschelte. Ich wollte mich gerade umdrehen, als sich eine schwere Hand über meinen Mund legte. Gleichzeitig musste ich hilflos mit ansehen, wie ein zweiter Angreifer Mark zu Boden warf und sein Gesicht gegen den Waldboden drückte.
»Was zum Teufel tut ihr hier?«
Diese Stimme! Unter Tausenden hätte ich sie wiedererkannt. Die Hand wurde zurückgezogen und ich konnte endlich wieder frei atmen.
»Hank!«, keuchte ich.
»Seid ihr wahnsinnig geworden?«, flüsterte er wütend. »Ihr habt hier nichts verloren!« Er gab seinem Kameraden ein Zeichen, der daraufhin von Marks Rücken stieg.
»Was haben wir da gerade gesehen?«, fragte ich. »War das ein Bindungsritual zwischen Vampir und menschlichem Gefährten?«
»Klug erkannt«, antwortete Hank. »Eine Zeremonie dieser Größenordnung hat es seit
Weitere Kostenlose Bücher