Dark Moon
konnten wir sehen, dass das Polizeisiegel aufgebrochen worden war. Mark zögerte.
»Vielleicht sollten wir uns lieber noch mal umschauen«, sagte ich leise.
Wir gingen um das Haus herum zu dem verlassenen Bootsanleger und kehrten dann wieder zurück. Weit und breit war kein Auto zu sehen. Alles war still. Trotzdem hatte ich ein ungutes Gefühl.
Vorsichtig öffneten wir die Hintertür und warteten. Nur Vogelgezwitscher war zu hören. In der Ferne blubberte monoton ein Außenborder. Wir traten ein.
Die Küche sah genauso aus, wie wir sie das letzte Mal vorgefunden hatten, nur dass jetzt überall kleine, nummerierte Schilder jene Stellen markierten, die für die Spurensicherung von Interesse waren. Behutsam stiegen wir über verstreuten Unrat, immer darauf bedacht, nichts zu verschieben oder zu verrücken.
»Wonach suchen wir eigentlich?« Ich wusste nicht, warum ich flüsterte, doch mir schien es unpassend, in einem Haus, das Schauplatz so schrecklicher Ereignisse gewesen war, laut zu sprechen.
Mark zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Aber ich denke, wir werden es wissen, wenn wir es sehen.«
Wir fingen unten im Keller an. Auch hier waren überall kleine Schildchen verteilt. Die blutigen Laken und Kleidungsstücke hatte die Polizei mitgenommen.
Zuerst hatte Mark Rücksicht auf die Markierungen der Spurensicherung genommen, doch plötzlich begann er, frustriert alle Sachen beiseitezuräumen und den Keller Stück für Stück zu durchsuchen. Ich runzelte die Stirn. Auch wenn wir beide »nur« Zeugen waren, waren wir sicher auch Gegenstand der Ermittlungen. Und die Polizei würde alles andere als begeistert sein, wenn wir einen Tatort durcheinanderbrachten, an dem vermutlich noch andere Morde begangen worden waren. Deshalb fühlte ich mich hier ganz und gar nicht wohl in meiner Haut.
Nach einer halben Stunde gaben wir auf und nahmen uns das nächste Stockwerk vor. Die Polizei hatte die ausgeräumten Schränke von der Wand abgerückt. Der Teppich war aufgerollt. Selbst einige Dielen hatte man aus dem Boden gerissen, um die Hohlräume zu untersuchen.
»Nichts«, sagte Mark, dem inzwischen der Schweiß auf der Stirn stand.
Mark wollte hinauf in den ersten Stock, blieb aber auf halber Treppe stehen, als er sah, dass ich ihm nicht folgte. Dort oben hätte mich Keren Demahigan beinahe getötet. »Willst du lieber unten auf mich warten?«, fragte er mich.
»Nein, es geht schon«, sagte ich, obwohl ich weiche Knie hatte. Die frisch verheilte Wunde schmerzte wieder. Ich ignorierte das Ziehen und setzte meinen Fuß auf die erste Treppenstufe. Mark nahm meine Hand und führte mich. Stufe für Stufe arbeitete ich mich nach oben. Erst als ich oben angekommen war, öffnete ich die Augen. Zu meinen Füßen sah ich einen großen, fast schwarzen Fleck, der aussah wie ein Kontinent in einem türkisblauen Teppichmeer. Genau an dieser Stelle hatte ich gestanden. Zwei Schritte weiter, auf der Schwelle zum Schlafzimmer, war ein weiterer Fleck, viel heller und weniger scharf umrissen. Das musste Keren Demahigans Blut sein.
Nachdem ich das Schlafzimmer und Mark das Bad überprüft hatte, und das ohne Ergebnis, blieb nur noch der Dachboden übrig.
Mark öffnete die Luke und klappte die Leiter aus. Staub rieselte uns entgegen und ich musste die Augen schließen. Ohne zu zögern, kletterte er hinauf. Draußen begann es bereits dunkel zu werden.
»Und?«, fragte ich.
»Hier oben war die Polizei auch.« Er klang beinahe enttäuscht. »Komm hoch und schau es dir an.«
Der Dachboden war ein Raum, der in der Mitte, direkt unter dem Giebel, hoch genug war, dass man aufrecht stehen konnte. Auch hier hatte man die gelben Zahlenkärtchen verteilt. Es waren nicht ganz so viele wie im Rest des Hauses, aber im staubigen Grau fielen sie besonders auf. Durch eine kleine Luke konnte ich sehen, wie die letzten Sonnenstrahlen hinter dem Mount Seymour verschwanden. Uns blieb nicht mehr viel Zeit. In einer halben Stunde würde man hier oben nicht mehr die Hand vor Augen sehen.
Alle Kartons, die vor zwei Tagen noch hier oben verstaut gewesen waren, hatte die Polizei fortgeschafft. Ein leerer, alter Kleiderschrank stand mit weit geöffneten Türen an der Stirnseite des Bodens. Mark stemmte die Hände in die Hüften und blickte sich enttäuscht um. Unterm Dach staute sich die Hitze, der Schweiß lief uns in dünnen Rinnsalen den Rücken hinab.
»Es hat keinen Zweck«, sagte er schließlich. »Das war’s. Hier ist nichts. Lass
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