Dark one 03 - Kuesst du noch oder beisst du schon- neu-ok
Hatte Melissande uns vielleicht verfolgt? Würde ich bald
gerettet werden?
Und was noch
viel wichtiger war: Warum erfüllte mich der Gedanke, Adrian zu verlassen, mit
Trauer?
„Schnell,
geh zum Bahnhof! Kauf zwei Fahrkarten nach Prag. Der Zug fährt in nicht mal
zwanzig Minuten ab. Wir treffen uns auf dem Bahnsteig.“
„Moment mal!“
Ich hielt mich an einer Straßenlaterne fest, als er mich losscheuchen wollte.
„Du wirst
tun, was ich dir sage“, knurrte er und drehte sich rasch noch einmal in die
Richtung um, aus der wir gekommen waren.
Ich boxte
ihn gegen den Arm. „Erstens mag ich es nicht, wenn man mir Befehle ohne jede
Erklärung gibt. Wenn du willst, dass ich etwas tue, dann sag mir auch, warum.
Und zweitens...“ Ich wich ein paar Schritte zurück, als er sich mit zornig
funkelnden Augen vor mir aufbaute. Ich hatte ihm eigentlich sagen wollen, er
könne sich seine Machoallüren irgendwohin schieben, aber das verkniff ich mir
jetzt doch lieber. „Ah... ich habe kein Geld. Du hast mich so schnell aus der
Bibliothek geschleift, dass ich meine Tasche vergessen habe, wie du dich
vielleicht erinnerst.“ Ich hielt ihm meine leeren Hände entgegen.
Er fluchte
wieder auf Tschechisch, griff in die Innentasche seiner Jacke und drückte mir
ein Bündel Geldscheine in die Hand. „Geh!“
Bevor ich
noch etwas sagen konnte, war er auch schon weg und verschwand so schnell in der
Dunkelheit, als wäre sie ihm zur zweiten Haut geworden.
„Treffender“,
sagte ich zu mir, während ich meinen Blick suchend über den Platz schweifen
ließ, „kann man es wohl nicht ausdrücken. Also, Nell, was machen wir jetzt?“
Ich schaute
auf das Geld in meiner Hand. Sollte ich mir eine Fahrkarte nach Prag kaufen, um
mich Melissande auf Gedeih und Verderb auszuliefern? Sollte ich ein Taxi nehmen
und mich zum Schloss fahren lassen, um meine Tasche zu holen? Sollte ich
vielleicht die nächste Polizeiwache aufsuchen und meine Entführung zu Protokoll
geben (unter Auslassung wesentlicher Erkenntnisse über Adrians eigentliches
dunkles Wesen)?
„Ich könnte
aber auch“, sagte ich und drehte mich seufzend zu dem Bahnhofsgebäude um, „zwei
Fahrkarten nach Prag kaufen und den Rest des Abends damit verbringen
herauszufinden, warum um alles in der Welt ich etwas für einen bösen Vampir
übrighabe. Vorausgesetzt, er taucht überhaupt noch einmal auf.“
Ich kaufte
zwei Fahrkarten. Der Mann am Schalter sagte mir, der Zug habe Verspätung, werde
aber innerhalb der nächsten halben Stunde eintreffen. Da mir furchtbar der
Magen knurrte, steckte ich nach dem Fahrkartenkauf ein paar Münzen in einen
Süßwarenautomaten und verschlang gleich drei Schokoladen-Honig-Riegel
hintereinander.
Die
überreichliche Zuckerzufuhr hatte offenbar anregende Wirkung, denn kaum hatte
ich mir die Schokoladenreste von den Fingern geleckt, marschierte ich auch
schon ungeduldig vor dem Bahnhof auf und ab. Dabei sah ich immer wieder auf die
große Uhr, die in dem winzigen Warteraum hing.
„Das ist
doch albern. Er wird nicht mehr kommen. Er ist abgehauen, um sich etwas zu
essen zu besorgen oder so“, murmelte ich vor mich hin. Ich glaubte es zwar
nicht, aber es laut auszusprechen gab mir ein besseres Gefühl.
„Den Zug
bekommt er nicht. Du solltest dich freuen, Nell! Du bist wieder frei und wirst
nicht mehr von einem herrischen Vampir herumgeschubst. Erzähl Melissande, was
passiert ist, pack deine Sachen und mach dich auf nach Hause!“
Ohne den
Brustpanzer.
Ohne
Melissande bei der Suche nach ihrem Neffen zu helfen.
Ohne Adrian.
„Stopp!
Solche Gedanken kannst du dir sparen, meine Liebe“, rief ich mich zur Ordnung,
hielt aber nichtsdestotrotz in der Dunkelheit nach einem groß gewachsenen
Vampir Ausschau. „Mag sein, dass er nett anzusehen ist. Und er riecht gut. Und
es tut mir weh, an die inneren Qualen zu denken, die er leidet. Aber er ist und
bleibt ein Vampir. Eine Kreatur der Nacht. Ein Blutsauger. Und obendrein ein
Verräter. Er ist ein Taugenichts, mit Betonung auf ,nichts. Wen kümmert es
schon, ob ihn die anderen Vampire, von denen er gesprochen hat, gefunden haben?
Wen kümmert es, ob sie ihn zusammenschlagen? Wen kümmert es, ob sie... ach,
verdammt!“
Ich setzte
mich in Bewegung und lief den ganzen Weg zurück. Es gab irgendeine Verbindung
zwischen Adrian und mir, wie gern ich es auch geleugnet hätte, und wenn er
Hilfe brauchte, konnte ich doch nicht tatenlos dastehen. Ich redete mir ein, es
ginge allein darum, ihm die
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