Dark one 06 - Ein Vampir kommt selten allein-neu-ok-08.12.11
„Die Geister haben die ganze
Zeit davon geredet, dass ich eine Schnitterin sei. Was ist das überhaupt?“
„Die Schnitter waren einst Ilargi. Das heißt, genau genommen
sind sie das immer noch, obwohl sie vor Langem in zwei Arten unterteilt wurden,
in die Sonnen- und die Mondschnitter. Erstere wurden Ilargi genannt, bevor sie
so gut wie vernichtet wurden. Letztere ...
nun, das ist eine lange Geschichte.“
„Verstehe, die Bruderschaft des Gesegneten Lichts“, sagte
ich nickend.
Alec taxierte mich eine Weile, bevor er fragte: „Sie kennen
die Bruderschaft?“
„Nein. Eigentlich nicht. Ich bin nur vorhin einigen ihrer
Mitglieder begegnet, das ist alles.“
Ich dachte, er würde mir nun von dem Verein erzählen, dem er
und sein Kumpel angehörten, doch Alec wechselte das Thema. „Kristoff hatte eine
Geliebte. Keine Auserwählte, wenn Sie verstehen, aber eine Frau, die er als
seine Partnerin betrachtete. Angelica und Kristoff waren viele Jahrzehnte lang
zusammen. Vor drei Jahren wurde sie umgebracht, und er ist noch nicht über
ihren Tod hinweg. Die Erinnerung verfolgt ihn immer noch.“
„Das ist ja schrecklich!“, rief ich und bedauerte sofort,
dass ich so garstig zu einem Mann gewesen war, der um seine Geliebte trauerte. „Der
Arme! Ich hatte ja keine Ahnung .. Das tut mir furchtbar leid.“
„Es entschuldigt nicht, dass Kristoff Ihnen Angst gemacht
hat, aber ich hoffe, es hilft Ihnen zu verstehen, in welcher seelischen
Verfassung er sich befindet“, entgegnete Alec und öffnete die Hintertür des
Buchladens, die er just in diesem Moment aufgeschlossen hatte. Er schaltete
eine kleine Taschenlampe ein und leuchtete in den Laden. „Hoffen wir, dass wir
etwas finden, das die eigenartige Situation erklärt, in die Sie, wie Sie sagen,
ohne eigenes Verschulden geraten sind.“
Wir durchsuchten rasch den Verkaufsraum, doch da war nicht
viel zu finden.
Alec sah sich die Papiere in den Schubladen eines alten
Sekretärs an, den der Ladenbesitzer offenbar als Ablage benutzte, während ich
sämtliche Wälzer in dem Regal durchblätterte, aus dem ich meine beiden Bücher
genommen hatte, um nachzusehen, ob etwas darin versteckt war.
Fünfundzwanzig Minuten später kehrten wir zum Wagen zurück,
wo Kristoff mit vor der Brust verschränkten Armen auf uns wartete. Er wirkte
immer noch angespannt, aber sein Gesichtsausdruck war halbwegs neutral. Er
sagte keinen Ton, als wir näher kamen.
„Nichts gefunden“, gestand Alec ihm ohne Umschweife. „Aber
ich will trotzdem nicht ausschließen, dass Pia uns die Wahrheit gesagt hat. Ich
denke, wir sollten die Sache genauer untersuchen.“
Kristoff hätte wohl am liebsten die Augen verdreht, doch er
riss sich zusammen; das konnte ich spüren. „Wir haben schon genug Zeit
verschwendet, Alec. Uns bleiben nur noch wenige Stunden bis zum Tagesanbruch,
um den Rat zu erreichen .. „
Alec fiel ihm ins Wort und sagte etwas auf Deutsch.
Ich nagte grübelnd an meiner Unterlippe, während die beiden
Männer sich stritten. Ich musste eine Entscheidung treffen: Sollte ich bleiben
und versuchen, die beiden zur Vernunft zu bringen, oder war es besser,
schleunigst das Weite zu suchen? Am Ende brachte mich dieser unheimliche
Kristoff vielleicht doch noch um, wenn er das nächste Mal Lust bekam, mich zu
würgen.
Mein Blick fiel auf Alec. Obwohl Kristoff die intensivere
Ausstrahlung und die stärkere körperliche Anziehungskraft hatte, war Alec in
Sachen Aussehen gewiss keine Niete. Eigentlich sah er sogar besser aus als
Kristoff, weil er eine wärmere und freundlichere Art hatte.
Ich dachte an die fünfundzwanzig Minuten zurück, die wir
zusammen in dem dunklen, muffigen Buchladen verbracht hatten. Zweimal hatte er
mich im Vorübergehen gestreift, und einmal, als er sich vorgebeugt und nach
einem Stück Papier geangelt hatte, war er mit dem Arm an meine Brust gekommen.
Er hatte sich sofort entschuldigt und war von mir abgerückt,
aber ich spürte die Berührung immer noch.
Ich fasste mir unwillkürlich an den Hals. Auch Kristoffs
eisernen Griff spürte ich noch sehr deutlich.
Ich schüttelte traurig den Kopf. Selbst wenn Alec ein
Fünkchen Interesse an mir hatte, war mir alles andere als wohl bei der Sache.
Mein Verstand sagte mir, dass es das Vernünftigste war, auf der Stelle zu
verschwinden.
Und genau das tat ich. Ohne noch etwas zu sagen, machte ich
auf dem Absatz kehrt und rannte durch die Gasse auf den hell erleuchteten
Marktplatz zu, um inmitten der vielen Menschen
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