Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)
Was würde jetzt passieren? Vielleicht fand sie auf einer der Picknickbänke einen Umschlag, den Len hier für sie hinterlassen hatte, eine hochherzige Geste, die sie ihm selbstverständlich zurückzahlen würde. Vielleicht hatte Len ein paar Leute organisiert, die Mitleid mit ihr hatten, die bald eintreffen und ihr Bargeld in die Hand drücken würden, damit sie ein schönes Leben hätte, und Patty würde begreifen, dass doch alle sie liebten.
Auf einmal hörte sie ein Klopfen am Fenster, rosa Fingerknöchel, der kräftige Torso eines Mannes. Aber es war nicht Len. Sie ließ das Fenster ein Stück herunter und spähte hinaus, darauf gefasst, dass der Mann ihr sagen würde,
machen Sie, dass Sie hier wegkommen, Lady
. So hatte das Klopfen jedenfalls geklungen.
»Kommen Sie«, sagte er stattdessen. Er beugte sich nicht zu ihr herunter, sie konnte sein Gesicht immer noch nicht sehen. »Steigen Sie aus, dann können wir uns da drüben bei den Bänken unterhalten.«
Patty stellte den Motor ab und kletterte aus dem Auto. Der Mann war bereits unterwegs zu den Bänken, eingepackt in einen dicken Ranchcoat, auf dem Kopf einen Stetson. Patty trug eine Wollmütze, die ihr nie richtig gepasst hatte und immer von den Ohren rutschte.
Der Mann machte einen netten Eindruck auf Patty. Er musste einfach nett sein. Er hatte dunkle Augen und einen dicken Schnurrbart, war um die vierzig und sah aus, als käme er aus der Gegend. Er macht wirklich einen netten Eindruck, versicherte sie sich erneut. Trotz des Schnees setzten sie sich auf eine der Bänke und ignorierten die Kälte. Vielleicht ist er Anwalt, dachte Patty. Andererseits – warum trafen sie sich dann hier draußen …?
»Ich hab gehört, Sie sind in Schwierigkeiten«, sagte der Mann mit einer tiefen Stimme, die zu seinen Augen passte. Patty nickte nur stumm.
»Ihre Farm soll zwangsgeräumt werden, Ihr Junge soll ins Gefängnis.«
»Die Polizei will nur mit ihm reden wegen eines Vorfalls, der …«
»Ihr Sohn soll verhaftet werden, und ich weiß auch, warum. Im Laufe dieses Jahres werden Sie Geld brauchen, um Ihre Gläubiger abzuwehren, damit Sie Ihre Kinder bei sich zu Hause behalten können – in Ihrem eigenen verdammten Zuhause –, und Sie werden außerdem Geld für einen Anwalt brauchen, weil Sie nicht möchten, dass Ihr Sohn als Kinderschänder ins Gefängnis kommt.«
»Natürlich nicht, aber Ben …«
»Nein, ich meine: Sie möchten nicht, dass
Ihr
Sohn als
Kinderschänder
ins
Gefängnis
kommt. Es gibt im Gefängnis nichts Schlimmeres als einen Kinderschänder. Ich hab es selbst gesehen. Was sie diesen Männern antun, ist ein Albtraum. Also brauchen Sie einen sehr guten Anwalt, und der kostet eine Menge Geld. Und zwar brauchen Sie diesen Anwalt jetzt, nicht erst in ein paar Tagen. Jetzt sofort. Solche Geschichten geraten nämlich schnell außer Kontrolle.«
Patty nickte und wartete. Die Art, wie der Mann mit ihr sprach, erinnerte sie an einen Autoverkäufer: Handeln Sie sofort, dieses Modell, zu diesem Preis. Bei solchen Gesprächen hatte Patty keine Chance, sie nahm einfach das, was der Verkäufer ihr aufzuschwatzen versuchte.
Der Mann drückte seinen Stetson fester und atmete laut aus, schnaubte wie ein Bulle.
»Also, ich war selbst mal Farmer, mein Vater ebenfalls und der Vater meines Vaters vor ihm. Gut dreihundert Hektar, Rinder, Mais, Weizen, draußen bei Robnett, Missouri. Gute Größe, wie bei Ihnen.«
»Wir hatten aber nie dreihundert Hektar.«
»Aber Sie hatten eine Familienfarm, Sie hatten Ihr eigenes gottverdammtes Land. Es ist Ihr gottverdammtes Land. Wir Farmer sind beschissen worden. ›Einen Zaunpfosten nach dem anderen!‹, hat man uns gepredigt, und wir haben entsprechend gehandelt. ›Kauft mehr Land‹ – haben sie gesagt –, ›schließlich ist das Angebot begrenzt.‹ Und dann, uups, tut uns leid, da haben wir euch wohl einen falschen Tipp gegeben. Jetzt nehmen wir euch eure Farm weg, eure Farm, die sich seit Generationen in Familienbesitz befindet, die reißen wir uns jetzt unter den Nagel, nichts für ungut. Schließlich habt ihr uns geglaubt, also seid ihr sowieso die Deppen.«
Das hatte Patty schon öfter gehört und selbst auch schon manchmal gedacht. Es war unfair. Aber sie wollte wieder über Ben sprechen. Sie setzte sich anders hin und versuchte, geduldig zu sein.
»Also, ich bin kein Geschäftsmann, kein Buchhalter, kein Politiker. Aber ich kann Ihnen helfen, wenn Sie Interesse daran haben.«
»Ja, ja, natürlich
Weitere Kostenlose Bücher