Dark Places - Gefährliche Erinnerung: Thriller (German Edition)
habe ich Interesse«, antwortete sie hastig. »Bitte.«
Und in Gedanken sagte sie sich, mach dir keine Hoffnungen, mach dir bloß keine allzu großen Hoffnungen.
Libby Day
Jetzt
D urch kränklich aussehende Wälder fuhr ich zurück nach Hause. Irgendwo an einer dieser langen zähen Straßen war eine Deponie. Die Halde selbst bekam ich nie zu Gesicht, aber ich fuhr gut zwanzig Meilen durch Abfall. Rechts und links waberten und flatterten tausende Plastiktüten. Wie sie da schemenhaft über dem Gras schwebten, sahen sie aus wie kleine Gespenster.
Es begann zu regnen, erst leicht, dann stärker, eiskalt. Um mein Auto herum sah alles irgendwie verzerrt aus. Jedes Mal, wenn ich irgendwo ein einsames Haus entdeckte – ein Grübchen in der Landschaft, eine stoppelige Baumgruppe –, stellte ich mir vor, dass Diondra hier begraben wäre, eine Ansammlung von Knochen, für die niemand sich interessierte, Plastikstückchen: eine Uhr, eine Schuhsohle, vielleicht der rote Ohrring, den sie auf dem Foto im Jahrbuch trug.
Wer scherte sich einen feuchten Kehricht um Diondra?, dachte ich und hatte auf einmal wieder Dianes Ausdrücke im Kopf. Wen kümmert es, ob Ben sie umgebracht hat, er hat deine Familie getötet, und damit endet sowieso alles.
Ich hatte mir so gewünscht, dass Runner irgendetwas rausließ, ich hatte glauben wollen, dass er es getan hatte. Aber der Besuch bei ihm hatte mir nur einmal mehr in Erinnerung gerufen, wie unmöglich es war, dass er sie alle getötet hatte, wie blöd er doch war.
Blöd
, das war ein Kinderwort, aber so konnte man Runner am besten beschreiben. Gerissen und blöd gleichzeitig. Magda und der Kill Club würden enttäuscht sein, obwohl ich ihnen gern Runners Adresse geben konnte, falls sie das Gespräch fortsetzen wollten. Aber ich persönlich hoffte, dass Runner bald sterben würde.
Ich passierte ein Feld mit dicker, brauner Erde. Im Regen lehnte ein Teenager am Zaun, im Dunkeln, schlechtgelaunt oder einfach gelangweilt starrte er auf den Highway. Mein Gehirn kehrte zu Ben zurück. Diondra und Ben. Schwanger. Alles andere, was Ben mir über die Nacht damals erzählt hatte, fühlte sich richtig an, glaubwürdig – alles außer dieser Lüge, dieser beharrlichen Lüge in puncto Diondra. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass dieser Punkt ein Grund zur Sorge war.
Weil ich mich verseucht fühlte, fuhr ich ziemlich schnell. Zu Hause stellte ich mich sofort unter die Dusche und rubbelte mich silkwoodartig mit einer harten Nagelbürste ab, bis meine Haut aussah, als hätte mich ein Rudel Katzen angegriffen. Aber als ich ins Bett ging, fühlte ich mich immer noch schmutzig, wälzte mich eine Stunde in den Laken herum, stand schließlich wieder auf und duschte noch einmal. Gegen zwei Uhr fiel ich dann in einen verschwitzten, schweren Schlaf, in dem es von höhnischen alten Männern wimmelte, die ich für meinen Vater hielt, aber aus der Nähe verschwammen die Gesichter vor meinen Augen. Noch schlimmere Albträume folgten: Michelle machte Pfannkuchen, und im Teig schwammen Heuschrecken herum, deren dünne Beinchen beim Rühren abfielen. Sie wurden mit den Pfannkuchen gebacken, und meine Mom zwang uns, sie zu essen, Protein ist gut für euch, knusper, knister. Kurz darauf wurden wir todkrank, würgten und geiferten mit grotesk verdrehten Augen, denn die Heuschrecken waren vergiftet gewesen. Als ich eines der großen Insekten verschluckt hatte, spürte ich plötzlich, wie es in meiner Kehle wieder hochzukrabbeln versuchte, und dann war sein klebriger Körper in meinem Mund, bespritzte meine Zunge mit Tabaksaft und presste den Kopf gegen meine Zähne, um hinauszukommen.
Der Morgen dämmerte unscheinbar und grau. Ich duschte erneut – meine Haut fühlte sich noch immer verdächtig an –, dann fuhr ich nach Downtown in die Stadtbücherei, ein weißes Gebäude mit Säulen, das früher eine Bank gewesen war. Dort saß ich neben einem Mann mit verfilztem Bart und einer fleckigen Militärjacke, der einen durchdringenden Geruch verströmte – die Art von Mann, neben der ich an öffentlichen Orten immer landete –, und gelangte schließlich ins Internet. Dort fand ich die riesige Vermissten-Datenbank und gab Diondras Namen ein.
Der Bildschirm machte sein übliches Nachdenkgeräusch, und ich schwitzte und hoffte, dass das Fenster mit »Keine Angaben« erscheinen würde. Nichts dergleichen. Zwar tauchte nicht das Foto aus dem Jahrbuch auf, aber was ich sah, war ihm nicht unähnlich: Diondra mit
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