Dark Silence - Denn deine Schuld wird nie vergehen
alle anderen mit kleineren Beträgen abgespeist werden und das Baby der Haupterbe ist.«
»Warum, um Himmels willen?«, wollte Marla wissen.
»Anscheinend hat sich dein Vater schon immer einen Erben gewünscht, der den Namen weiterträgt. Ursprünglich war im Testament vorgesehen, dass der männliche Erbe den größten Teil des Vermögens bekommt, und da Rory schwerstbehindert ist, war es an dir, einen Sohn zu bekommen.«
»Auch wenn er nicht Amhurst heißt.«
»Deshalb heißt er ja , James Amhurst Cahill. «
»Das kann ich nicht glauben. Das ist … das ist so archaisch. So … so … krank.« Doch dann dachte sie an den Mann, der ihr Vater war. Irgendwie passte es zu ihm.
»Das Geld gehört dem Alten, er kann damit machen, was er will«, erinnerte Nick sie. Marla blickte einem Düsenflugzeug nach, das über den Himmel zog.
»Aber James ist noch nicht einmal neun Wochen alt.«
»Und er kann es als verdammtes Glück ansehen, dass er ein Junge ist.«
»Oder als Fluch.« Sie wurde dieses ungute Gefühl nicht mehr los, seit sie ihren Vater im Krankenbett gesehen hatte – nur noch ein Schatten des Mannes, der er einmal gewesen war, ein Gerippe, von Hass und Misstrauen erfüllt. Wo war nun der vernarrte Vater, der sie mit Schmuck und Wertpapieren überhäuft hatte, als seien es Bonbons? Wo war der Vater, der sie großgezogen und gehätschelt und sich darauf gefreut hatte, dass sie ihm Enkelkinder schenkte?
»Wer ist Kylie?«, fragte Nick plötzlich.
»Wenn ich das nur wüsste. Aber ich bin mir sicher, dass ich den Namen schon einmal irgendwo gehört oder gelesen habe … Ich erinnere mich nur nicht mehr, wo.«
In Gedanken versunken, trommelte Nick mit den Fingern auf den Schalthebel, den Blick starr auf die Straße gerichtet. Nach einer Weile sagte er: »Vielleicht hast du ja doch eine Schwester. Eine Halbschwester.«
»Vielleicht.« Dieser Verdacht war auch Marla schon gekommen. »Aber wieso weiß dann niemand von ihr?«
»Weil es sein schmutziges kleines Geheimnis war. Es könnte doch sein, dass er dich jetzt, in geistiger Verwirrung, mit ihr verwechselt.«
»Das wäre möglich«, räumte Marla ein, auch wenn ihr die Vorstellung abwegig erschien. Aber warum sollte ihr Vater sie sonst mit einem anderen Namen ansprechen? »Vielleicht bin ich ja tatsächlich Kylie. Woher soll ich das wissen?« Sie sah Nick mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Wo steckt dann Marla, und warum glauben alle, du seist Conrads Tochter, seine Prinzessin?«
»Das glauben nicht alle«, wandte sie ein. Draußen wichen die Zaunpfähle und Wiesen den ersten Häusern vor der Stadt. Die Landschaft flog verschwommen am Fenster vorbei. Ein Lastwagen donnerte über die schmale Straße. »Cissy glaubt es nicht. Conrad glaubt es nicht. Ich selbst weiß nicht, ob ich es glauben soll. Und du?« Sie wandte den Kopf und sah ihm in die Augen. »Du hast sie gekannt. Sogar sehr gut, soweit ich weiß.« Nick umfasste das Lenkrad fester. »Glaubst du, dass ich Marla bin?«, fragte sie. Seine Lippen wurden schmal, die Kiefermuskeln traten hervor.
»Ja.«
»Wieso? Mein Gesicht ist stark verändert. Es musste nach dem Unfall durch plastische Chirurgie wiederhergestellt werden. Und vorher hattest du mich lange Zeit nicht gesehen – seit wie vielen Jahren? Zwölf?«
Nick umklammerte das Steuer so krampfhaft, dass seine Fingerknöchel weiß wurden. »Das stimmt.«
»Woher willst du es dann wissen?«
Als er nicht antwortete, berührte Marla ihn am Arm. »Woher, Nick?«
»Ich erkenne es daran, wie du auf mich reagierst, verdammt noch mal!« Er warf ihr einen Blick zu, der ihr durch und durch ging. »Denken wir nur mal an gestern Nacht«, fuhr er fort. Die Reifen sangen auf dem Asphalt. »Du weißt, was da passiert ist.«
»J-ja«, erwiderte sie und ließ die Hand sinken.
»Gewöhnlich verliere ich nicht die Kontrolle über mich, Marla«, versicherte Nick ernst. »Das ist nicht mein Stil.« Er schwieg einen Moment lang, ehe er leise weitersprach. »Das ist mir vorher nur ein einziges Mal passiert. Vor langer Zeit.« Sein Gesicht verzog sich zu einem selbstironischen Lächeln. »Wie schade, dass du dich nicht daran erinnerst.«
Es kribbelte in ihrem Magen, und sie reckte das Kinn vor. »Ja, das ist verdammt schade«, entgegnete sie. »Es ist mir gleich, was zwischen uns vorgefallen ist, Nick, ich will mich nur erinnern.«
»Dann tu es, Lady. Mir ist es nicht gleich, ich erinnere mich, und ich will verdammt sein, wenn ich noch einmal durch
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