Dark Silence - Denn deine Schuld wird nie vergehen
abzuschütteln, die Bürde, ein Cahill zu sein und den Erwartungen der Familie entsprechen zu müssen.
»Das war alles Blödsinn«, erklärte er dem Hund, als Tough Guy sich erhob und auf seinen drei Beinen hinter ihm her ins Wohnzimmer hinkte, wo die kalte Asche vom Vorabend noch im Kamin lag und der Geruch von Holzfeuer in der Luft hing. Mit finsterer Miene dachte Nick daran, dass er den Ansprüchen der Cahills nie genügt hatte. Sein Vater hatte verlangt, dass er endlich aus Alex’ Schatten trat, dass er seinen älteren Bruder überflügelte.
Samuel Cahill war enttäuscht worden. Das geschah dem Mistkerl recht. Sollte der Alte in seinem Grab vermodern. Nick war es gleichgültig.
Das Telefon klingelte. Nick fluchte und hätte sich am liebsten gar nicht gemeldet. Doch dann ließ er die Tasche fallen, war mit drei raschen Schritten beim Apparat, nahm den Hörer ab und knurrte: »Hallo?«
»Nick?«, fragte eine Frau mit leicht erregter Flüsterstimme. »Nicholas Cahill?«
»Wer ist da?«
»Cherise.«
Seine Cousine. Er ahnte Böses. Ganz gleich, was sie wollte, es konnte nichts Gutes sein.
»Meine Güte, du bist ja schwer zu erreichen. Beinahe hätte ich einen Privatdetektiv angeheuert, um dich ausfindig zu machen.« Sie lachte nervös.
»Hast du aber nicht.«
»Nein. Am Ende hat doch das Telefonverzeichnis gereicht.«
Übellaunig setzte sich Nick auf sein mit Cordsamt bezogenes Sofa. Er stellte sich Cherise vor, wie er sie zuletzt gesehen hatte, mit blondem Haar, blassgoldenen Augen und ohne ein Gramm Fett an ihrem zierlichen Körper. Sie war dauergebräunt, übermäßig geschminkt und war ihm, als sie noch Kinder waren, auf Schritt und Tritt nachgelaufen. Damals hatte er sie gemocht, bevor sie beide, jeder auf seine Art, in Schwierigkeiten gerieten und sich auseinanderlebten. Die schönen Zeiten waren vorbei, schon seit zwanzig Jahren. »Und, Cherise, wie geht’s?«
»Gut«, antwortete sie wenig überzeugend. »Neuerdings im Grunde sogar wunderbar. Ich habe zum Herrn gefunden.«
Toll, dachte Nick zynisch. Einfach toll. »Ach ja?«
»Mein Leben … mein Leben hat sich völlig verändert.«
»Das klingt gut.« Nick war kein religiöser Mensch und hielt nicht viel von der Kirche, aber wenn Cherise gern wiedergeboren werden wollte, schön und gut. Sie war schon immer dem neuesten Trend nachgejagt. Wenn Cherise also ihre Liebe zu Gott kundtat, dann musste wohl der christliche Glaube in Mode gekommen sein.
»Ja. Es ist gut. Ich danke Gott jeden Tag.«
»Und die Kinder?« Er blickte aus dem Fenster in den grauen Tag hinaus.
»Ach, denen geht’s … gut. Prima. Sind halt Teenager.« Sie seufzte theatralisch. »Die drei werden dem Herrn noch gehörig Arbeit machen, fürchte ich.«
Nick wartete. Schluss mit den Höflichkeitsfloskeln. Es gab doch sicher einen Grund dafür, dass sie ihn aufgespürt hatte. Seit über fünfzehn Jahren hatte er nicht mehr mit ihr gesprochen. Nach ein paar spannungsgeladenen Schweigeminuten holte sie tief Luft.
»Ich, hm, ich rufe wegen Marla an.«
Seine Eingeweide zogen sich zusammen, aber er war nicht überrascht. »Ich habe von ihrem Unfall gehört«, gab er zu. »Alex hat mich aufgesucht.«
»Ach.«
Das überraschte sie und verschlug ihr für einen Augenblick die Sprache. Doch Cherise war eine Schnelldenkerin. Sie landete immer wieder auf den Füßen.
»Tja, wir alle können dem Herrn danken, dass sie noch lebt.«
Amen .
»Ihre Freundin hatte weniger Glück«, fuhr sie fort. »Kanntest du Pam? Bist du ihr mal begegnet?«
»Nein.«
»Mhm.« Ein missbilligendes Schniefen. Nick fragte sich, was es mit der Beifahrerin im Unfallwagen auf sich haben mochte. Doch Fragen stellten sich ihm in großer Menge, wenn es um seine Schwägerin ging. »Hör zu, Nick, ich rufe an, weil du zur Familie gehörst und ich auf dein Verständnis hoffe. Du und Marla, ihr habt euch doch mal gut verstanden, und du weißt ja, dass sie und ich uns immer gemocht haben. Ich liebe sie wie eine Schwester, und ich … na ja, nicht nur ich, auch Montgomery«, fügte sie rasch hinzu, als sei ihr Bruder ihr gerade erst eingefallen. »Ich … wir würden sie gern besuchen. Das Problem ist nur, dass Alex es nicht zulässt. Er besteht immer noch darauf, dass nur der engste Familienkreis sie besuchen darf.«
Also darum ging es. Nick warf einen flüchtigen Blick auf die alte Seth-Thomas-Uhr neben der Kochnische. »Liegt sie nicht immer noch im Koma?«
»Schon, aber ich möchte ihr gern Gesellschaft
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