Dark Silence - Denn deine Schuld wird nie vergehen
einen weiteren kräftigen Schluck einschenkte.
Nick war nervös. Marla war wach gewesen, das hatte er mit eigenen Augen gesehen. Sein Gefühl sagte, dass sie etwas unternehmen mussten, irgendetwas, statt in diesem stickigen Zimmer herumzusitzen und zu trinken. »Was genau ist in jener Nacht vorgefallen?«
»Wir vermuten, dass Marla und Pam Delacroix, eine Freundin, die sie erst kürzlich kennengelernt hatte, Pams Tochter an der Universität von Santa Cruz besuchen wollten, denn in die Richtung sind sie gefahren. Es war vor gut sechs Wochen, gleich nach James’ Geburt. Am Tag ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus. Warum sie wegfahren wollte, ist mir ein Rätsel.« Alex starrte düster in seinen Drink und studierte die bernsteinfarbene Flüssigkeit wie ein Wahrsager den Kaffeesatz. »Wie auch immer, sie traf sich mit Pam, setzte sich aus Gott weiß welchen Gründen hinters Steuer und fuhr los. Es war eine scheußliche Nacht. Neblig und regnerisch. Und dieser Abschnitt des Highway 17 ist trügerisch. Die Straße schlängelt sich durch die Berge. Da kommt es ständig zu Unfällen. Irgendwie hat Marla die Kontrolle über den Wagen verloren. Warum, weiß kein Mensch. Vielleicht, weil sie mit Pams Mercedes nicht vertraut war. Wie auch immer, der Wagen schleuderte auf der nassen Straße, durchbrach an einer schwachen Stelle die Leitplanke und stürzte vom Felsen. Pam war auf der Stelle tot. Sie hatte den Gurt nicht angelegt. Marla überlebte nur knapp. Sie ist mit dem Kopf gegen das Seitenfenster geschlagen – dreifacher Kieferbruch, Schnittwunden im Gesicht, aber der Airbag hat weitere Knochenbrüche und innere Verletzungen verhindert. Sogar die Zähne sind unbeschadet geblieben. Da hat sie Glück gehabt.«
»Ob sie selbst der Ansicht ist, dass sie Glück hatte, möchte ich bezweifeln«, bemerkte Nick.
Alex warf seinen Zigarettenstummel in den Kamin. »Sie hatte einen dreifachen Kieferbruch, eine Gehirnerschütterung und eine gebrochene Nase. Schlimm genug, wenn man sich das vorstellt, und hinzu kommt noch das Koma. Die Polizei hat sie anhand des Krankenhaus-Armbands identifiziert, das sie zum Zeitpunkt des Unfalls noch trug. Sie hatte wohl vergessen, es abzunehmen.«
»Das ist ziemlich untypisch für Marla.« Die Frau, an die Nick sich erinnerte, achtete immer penibel auf ihr Äußeres.
»Vielleicht war sie durcheinander. Wer weiß?« Alex ging zur Bar und schenkte sich einen weiteren Whisky ein. »Ihre linke Gesichtshälfte ist ziemlich übel mitgenommen, doch die Chirurgen sind optimistisch. Sie haben schon ein paar Operationen durchgeführt, um die Symmetrie ihres Gesichts wiederherzustellen, und vermutlich braucht sie noch mehr, wenn die Drähte entfernt werden und sie aufgewacht ist.« Er schüttelte den Kopf über das Ausmaß der Katastrophe.
Nick verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein. Warum zum Teufel meldete sich das Krankenhaus nicht? Hier untätig herumzustehen trieb ihn in den Wahnsinn. Er warf einen Blick zu seiner Mutter, die seelenruhig ihren Tee trank und Coco auf einer Ecke des Orientteppichs betrachtete. Die Hündin hatte ihre Schnauze auf die weißen Pfoten gelegt und fixierte Nick mit wachsamen schwarzen Augen.
»Ich glaube, ich sollte jetzt gehen«, erklärte Nick.
In diesem Moment waren von der Treppe her Schritte zu hören, und Cissy, ganz in Schwarz, stürzte ins Zimmer. »Ich dachte, ihr wolltet Mom besuchen«, sagte sie und blieb abrupt stehen, als sie Nick bemerkte.
»Cissy, das ist Nicholas. Du erinnerst dich doch sicher noch an ihn?«, fragte Eugenia.
Cissy musterte ihren Onkel mit Schmollmund und misstrauischem Blick. »Ich glaube nicht.«
»Es ist lange her«, kam Nick der Kleinen zur Hilfe. »An die zehn Jahre.«
Sie zuckte die Achseln. Es war ihr offenbar gleichgültig. »Fahren wir jetzt, oder was?«
»Sobald wir Nachricht vom Krankenhaus haben. Nick sagt, sie wäre aufgewacht und hätte mit ihm gesprochen. Aber als ich sie dann besucht habe, war sie wieder ins Koma gefallen.«
»Was? Ist das denn möglich?«
»Anscheinend.«
»Ausgeschlossen.« Cissy blinzelte. »Ich meine, wenn man aufwacht, ist man halt wach, oder?«
Alex leerte sein Glas und strich ihr über die Schulter. »Dr.Robertson glaubt, dass es jetzt bald so weit ist.«
»Das sagt er schon seit dem Tag, an dem sie den Unfall hatte.« Cissy blickte argwöhnisch von einem Erwachsenen zum anderen, forschte in ihren Gesichtern nach Anzeichen von Lügen. »Das ist doch verrückt!« Sie ließ sich auf ein
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